Mittwoch, 9. November 2016

Das richtige Heben eines Bierkastens - ein Quantensprung für uns Frauen!

Ich hab so was von Rücken. Das kann ich keinem erzählen, wie's dazu kam. Ich bin aber trotzdem zur Eröffnung der Ausstellung "Am Horizont" von Thomas Huber gegangen. Weil, Sitzen geht gut. Und das kann man ja in dem Auditorium vom Kunstmuseum Bonn recht nett (da war ich übrigens noch nie!). Dort lauschte ich dann den vier Reden, wie es in der Einladung zu lesen gewesen war. Insgesamt eine halbe Stunde und inspiriert noch dabei, da konnte ich jetzt nicht maulen. Wobei, mit einem Gläschen Prosecco vorneweg und einem zweiten in der Hand hört es sich einfach noch besser zu. Dabei fiel mir auf, das war das erste Mal, dass ich bei einer Ausstellungseröffnung in einem Museum war. Weil, der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier - und ich so was von besonders. Und mit meinen 56 Jahren bin ich folgenden Deal gewohnt, ich kenn's nicht anders: Ich nehme mir die Zeit, mach die Statistin und tu so, als ob ich mir die Kunst, oder wie auch immer man es denn nun bezeichnen mag, anschaue. Und dafür bekomme ich vom Künstler, oder wie auch immer man ihn nun bezeichnen mag, eine Gläschen Sekt, im Notfall auch zwei, und - das ein oder andere Häppchen. Gut, ja, ich hätte mir auch ein Gläschen kaufen können, aber ...

Apropos kaufen. Da merkt man mal wieder, Werbung ist einfach alles. Wobei, da sagt neuerdings mein Rücken, jetzt ist Schluss. Das glaubt mir keiner, dass für meinen desolaten Rücken die Werbung schuld ist. Wie komm ich auf Werbung? Die Worte von dem Professor Berg, ich sag nur, Hut Schrägstrich Hütin ab. Also wie der mir den Thomas Huber verkauft hat, wie der mir dessen Werke ans Herz gelegt hat. Ich war so was von gespannt und motiviert, dass ich glatt für kurze Zeit meinen Rücken vergessen habe und anschließend durch die Ausstellung geschlendert bin. Lange bin ich allerdings nicht geblieben. Weil, erstens - das tut mir jetzt ausgesprochen leid für den Herrn Huber, dass der Herr Professor Berg die Latte so was von hoch gehangen hatte, und die Bilder da jetzt für mich nicht rankamen. Aber zweitens brauchten die Bilder mich auch gar nicht, die waren so was von mit sich selbst beschäftigt. Das fiel mir dann auch wieder ein. Ich hatte nämlich vorher schon den Flyer zur Ausstellung studiert. Und dort stand: Der Horizont dient als Metapher für eine Grenze zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, und damit als Hinweis auf einen Diskurs, den die Bilder über ihren eigenen Status führen. So stand's im Flyer.

Apropos Flyer. Apropos Bilder. Neulich stieß ich in meinem "Schaufenster" auf zwei Bilder. Auf beiden sah man jeweils dieselbe Frau einen Bierkasten heben. Darunter stand: Wer einen Kasten Bier transportieren will, sollte beim Anheben mit geradem Rücken in die Knie gehen und die Last beim Transport dicht am Körper halten. Auf dem ersten Foto macht die Frau alles falsch, was frau nur falsch machen kann, und deshalb steht drunter: Falsch! Auf dem zweiten Foto hebt sie den Bierkasten in vorbildlicher Körperhaltung und deshalb steht auch drunter: Richtig! Zunächst einmal, ich finde es so was von toll und bin auch ein Stück weit stolz, dass wir Frauen es doch tatsächlich geschafft haben, uns so zu emanzipieren. Was für einen Quantensprung bedeutet es für uns Frauen, dass die Frau auf dem Foto keinen Wäschekorb mit dreckiger Wäsche trägt sondern einen Bierkasten - während ihr Mann wahrscheinlich gerade seine Funktionssportkleidung mit einem Sport- und Outdoor-Waschmittel wäscht.

Ich weiß jetzt nicht, ob das Zufall war. Weil, die Überschrift zu dem dazugehörigen Artikel lautete: Haltung bewahren - Richtig heben und damit Rückenschmerzen vorbeugen. Rückenschmerzen als Volkskrankheit: So seien Erhebungen der Techniker Krankenkasse zufolge Rücken- und Bandscheibenbeschwerden nach wie vor die Ursache für fast jeden zehnten Krankschreibungstag in Deutschland. Die Probleme mit dem Kreuz würden heute vor allem durch Bewegungsmangel hervorgerufen. Auch Übergewicht sei ein wichtiger Risikofaktor für die Rückengesundheit. Beides trifft auf mich so was von nicht zu, aber wer kommt denn drauf, dass ich mir an meinem "Schaufenster" fast einen Bruch hebe? Wer kommt denn drauf, dass ich, bevor ich mein "Schaufenster" aus dem Briefkasten hole, vorher sinnvollerweise einen Mix aus Dehn-, Kräftigungs- und Koordinationsübungen absolviere? Ich jedenfalls nicht! Deshalb hab ich jetzt so was von Rücken. Weil, in derselben Ausgabe meines "Schaufensters" mit dem Artikel über Rücken lagen - hallo! - an die 20 Beilagen! An die 20 Werbeblättchen, und dabei war das Werbeblättchen meines Lieblingsdiscounters noch nicht mal dabei! Gott sei Dank, sag ich da nur. Sonst wär unser Verhältnis jetzt aber so was von getrübt. Die meisten Werbeblättchen boten Möbel feil. Liebe Werbestrategen von Möbel Boss, Porta und Müllerland, ich trage ja auch nicht mal eben einen Schrank alleine oder eine Küchenzeile! Liebe Werbeverantwortliche von Höffner, Möbel Hausmann und Ostermann, ich bin mir nicht sicher, ob Sie da Ihrem Arbeitgeber nicht einen Bärendienst erwiesen haben. Weil, ich verbinde mit deren Namen jetzt meinen lädierten Rücken - und das ist doch beim besten Willen nicht verkaufsfördernd!

Noch nie in meinem Leben habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie viele Beilagen mein "Schaufenster" aushält, also wie viele Beilagen in ein "Schaufenster" passen und man es trotzdem noch vierteln kann. Zu keinem Zeitpunkt habe ich mir die Frage nach einer eventuellen Beilagenbegrenzung physikalischer Natur gestellt. Hätte ich sie mir gestellt, ich hätte unweigerlich zu dem Schluss kommen müssen: Ja, es gibt sie, die Beilagenbegrenzung physikalischer Natur, lieber Herr Ostermann, liebe Frau Hausmann und wie ihr alle heißt.

Wer es ja zur Zeit echt drauf hat mit seiner Werbung, ist das LVR-Landesmuseum Bonn: Ich sag nur EVA's BEAUTY CASE. Dieses Plakat auf den Litfaßsäulen hat mich so was von angesprochen! Und - sorry, Herr Huber - die Ausstellung hält, was sie verspricht.