Mittwoch, 15. März 2017

Strunzblöd hat Konjunktur - und der Feldweg

Neulich bei meinem Lieblingsdiscounter an der Kasse bei den Schnittblumen: Die Profimama entdeckt die Tulpen. Ihr Kleinstkind vorne im Einkaufswagen ist gerade mal in der Lage aufrecht zu sitzen. "Soll Mama Blumen mitnehmen?" "..." "Schatz, was meinst du, soll die Mama Blumen kaufen?" "..." "Sag doch mal, Klara, Schatz, soll die Mama Blumen kaufen?" "Nein." "Och Schatz, die Mama hat aber Lust, Blumen zu kaufen. Schau doch mal, wie schön die sind, die Tulpen." "Nein." "Welche Farbe sollen wir denn nehmen?" "..." "Hilf doch mal der Mama." "..." " Schau mal, es gibt gelbe und weiße und rote Tulpen." "..." "Welche soll Mama denn nun nehmen?" "Rot." "Papa mag aber lieber gelbe Tulpen. Dann nehmen wir einen schönen gelben Tulpenstrauß." Kein Scherz meinerseits, echte, harte Realität. Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder, Klara hat schon im Mutterleib die Relativitätstheorie erklärt bekommen und ich war an der Kasse zufälligerweise Zeugin, als dem Wunderkind spielerisch das Stilmittel der rhetorischen Frage nahegebracht wurde. Oder - die Frau ist einfach nur strunzblöd.

Apropos strunzblöd. Ich komm deshalb drauf, weil ich neulich in meinem SCHAUFENSTER  in großen Lettern "Volksbegehren: Zurück zu G9?" las. Da hieß es, in NRW starte das Volksbegehren "Abitur nach 13 Jahren an Gymnasien - Mehr Zeit für gute Bildung, G9 jetzt!". Ziel sei es, dass an Gymnasien in NRW das Abitur wieder nach einer Regelschulzeit von 13 Jahren abgelegt werde. Die Eintragungslisten für das Volksbegehren lägen vom 2. Februar bis 7. Juni aus. Obwohl in dem kurzen Artikel gleich dreimal wiederholt wird, um was es geht, verstehe ich es nicht, weil ...
Nordrhein-Westfalen, wir schreiben das Jahr 2013. Das Rad, das Rad der Bildung, wird neu erfunden. Nunmehr machen Abiturienten schon nach acht Jahren Abitur und nicht wie bisher nach neun. Vorbei G9, es lebe G8! Als Hauptgrund für die Einführung der verkürzten Schulzeit wird die zu anderen Ländern vergleichsweise lange Dauer der Schulzeit angeführt. Hurra, nun holen wir auf, tun es unseren Nachbarn, den Niederländern, gleich! Was jetzt natürlich wirklich blöde ist, im Jahr des ersten G8-Durchlaufs, also im Jahr 2013, machen nun zwei Jahrgänge gleichzeitig Abitur: die letzten G9er und die ersten G8er. Man spricht vom Doppeljahrgang. Angst und Panik halten Einzug in den Schulalltag. Wird der Ausbildungsmarkt auf diesen Doppeljahrgang eingestellt sein? Eltern parken ihre Kinder für ein Jahr im Ausland, um dem Doppeljahrgang zu entfliehen. Und die, die hier bleiben, haben zusätzlich zum Nachmittagsunterricht verstärkt Nachhilfe. Viele Abiturienten entfliehen nach dem Abitur dem Ansturm auf die Hörsäle, indem sie irgendwo in Afrika Straußeneier in A ausbuddeln und in B wieder einbuddeln. Das Wort Turbo-Abi wird geboren. Großer Druck lastet auf vielen Schülerschultern: Es gilt, die eigene Angst in den Griff zu bekommen, aber auch die am Rad drehenden Eltern zu ertragen. All das lassen die jungen Menschen im Jahr 2013 in NRW über sich ergehen.
Was jetzt wirklich blöde war, damals wusste keiner der Verantwortlichen für G8 , dass das Schulsystem der Niederlanden überhaupt nicht mit dem unseren zu vergleichen ist. Dort gehen die Kinder schon mit vier in die Grundschule und die dauert sechs Jahre, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich habe  mich damals nur gefragt, und frage es mich bis heute, warum wir uns nicht die Niederlanden als Vorbild nehmen, wenn es um die Bekämpfung des Krankenhausvirus geht. Und warum wir bei den Themen Abtreibung und Sterbehilfe so gar nicht über den Tellerrand, über die Grenze zu den Niederlanden schauen. Was auch dumm gelaufen ist, damals, keiner der Entscheidungsträger hatte die Idee, dass es möglicherweise ernsthafte rechtliche Probleme geben könnte, wenn ein junger Mensch schon mit 17 Abitur macht, also noch nicht volljährig ist. Blöd auch, damals hatte kein Verantwortlicher den Gedanken, dass möglicherweise der Nachmittagsunterricht zu Problemen führen könnte.

Hat wirklich niemand daran gedacht?  Und das wäre jetzt die Herausforderung für unsere Klara an der Kasse bei den Tulpen. Ist die Frage "Hat niemand diese Bedenken gehabt?" eine Frage oder eine rhetorische Frage? Denn entweder waren die damaligen überbezahlten Entscheidungsträger strunzblöd oder sie wussten, was sie taten, und hielten mich für strunzblöd, als sie mir mit den Nachbarländern kamen. Und da weiß ich jetzt beim besten Willen nicht, was ich besser finde. Ich stell mir nur mal vor, wenn das jetzt mit dem G9 durchkommt, G8 also ein Versehen war, der Doppeljahrgang also quasi nicht hätte sein müssen. Wenn all diese jungen Menschen, die man damals verarscht hat, wenn die den damaligen Verantwortlichen mal einen Besuch abstatten würden. Für mich ist der Fall selbstredend klar: Hinter all dem Hin und Her stehen die Schulbuchverlage. Denn die sind die eigentlichen Gewinner, wenn alle paar Jahre wieder das Bildungsrad neu erfunden wird.

Wo ich gerade bei strunzblöd bin. "Dumm wie 10 Meter Feldweg" klingt toll, finde ich. Kannte ich gar nicht! Ich hab nämlich mal unter Synonyme für strunzblöd nachgeschaut. Und da stellte ich zweierlei fest. Erstens gibt es strunzblöd gar nicht, ist quasi meine Eigenkreation. Es gibt nur strunzdumm. Und zweitens gibt es dort eine riesige Auswahl an Synonymen für strunzdumm - die man ja aber bei so viel Blödheit auch braucht.

Apropos Blödheit. Und da bin ich meinem SCHAUFENSTER so was von dankbar, dass es  mich da abholt, wo ich stehe - nämlich am Geldautomaten der Bank meines Vertrauens. Wo ich gerade Geld abhole, mit meiner Karte. Die PIN habe ich natürlich auf einem Zettel im Portemonnaie notiert - und zur Sicherheit noch mal auf der Karte selbst. Und da lese ich jetzt doch, soll man nicht, öffnet dem Missbrauch Tür und Tor, sagt die Margot Schneider, Leiterin Sicherheitsmanagement für Zahlungsverkehr bei der Euro Kartensysteme GmbH. Wenn sich der Tipp von der Margot nicht mal genau so als falsch herausstellt wie damals die Entscheidung für G8!