Mittwoch, 30. August 2023

Herr Ring zieht nach

Letztens war ich ja bei Mülltrennung und Philosophie. Jetzt nicht als ein zusammengehöriges Thema, sondern zwei voneinander unabhängige. Wobei ich sagen muss, dass das Thema Mülltrennung schon eine Philosophie für sich ist. Ich hatte ja diesen Zettel an meiner Grünabfälle-Tonne, du weißt schon, auf dem die Gründe aufgelistet waren, warum meine Tonne nicht geleert wurde. Und ich habe da so einen blöden Nachbarn, den ich einfach mal ärgern wollte. Deshalb habe ich dem in der Nacht vor der Leerung in seine grüne Biotonne obenauf eine grellbunte Plastiktüte gelegt. Diese Tonne hat so was von nach Verwesung gestunken. Du konntest glatt denken, der Nachbar hätte da eine Leiche entsorgt. Und die noch zwei weitere Wochen vor seinem Haus, unmittelbar unter seinem Küchenfenster – hätte ich echt spaßig gefunden. Was soll ich sagen, ich am anderen Morgen, schön gemütlich eingerichtet. Will sagen: Fenster auf, Kissen auf die Fensterbank und fein mal rausgelehnt. Und was soll ich dir sagen? Da kommen die von bonnorange, hinten die zwei Mitarbeiter so was von ins Gespräch vertieft und leeren doch tatsächlich die Tonne! Hallo, ich öffnete schon den Mund um „Aber da war doch eine Plastiktüte drin!“ zu brüllen, was ich dann aber aus verständlichen Gründen nicht getan habe. Natürlich machst du dir dann so deine Gedanken, von wegen „Muss ich neuerdings die Müllabfuhr schmieren, damit die mir die Tonne leeren?“.

Wo ich ja letztens auch bei der Philosophie gelandet war. Neulich habe ich den Spielfilm „Glück auf einer Skala von 1 bis 10“ geschaut. Darin folgender Dialog zwischen den beiden Protagonisten:

Igor (mit einer zerebralen Bewegungsstörung): Diogenes hat gesagt, um frei zu sein von dem, was Andere denken, sollte man einen Hering hinter sich herziehen.

Louis: Einen Hering?

Igor: … und so durchs Leben gehen.

Louis: Schon klar.

Igor: Der Vorteil ist, dass ich sowieso schon der Hering bin. Und übrigens, was die Anderen denken, ist mir schon scheiß egal!

Ich finde dieses Bild, dass ich einen Hering hinter mir herziehe, so was von gut. Aber dass Igor noch einen draufsetzt und sich selbst mit seinen Verrenkungen als Hering bezeichnet! Und das geht nicht nur dem Igor so. Mal ein Beispiel: Wenn eine junge Frau eine geblümte Hose und ein Streifen-T-Shirt trägt, dann soll das wohl so. Dann hat sie das bewusst kombiniert: Mustermix. Wenn ich in meinem Alter so rumlaufe, na ja, im günstigsten Fall: einfach nur schon recht schlechte Augen. Im schlechteren Fall: schon recht verwirrt. Da bin ich eben auch schnell mal der Hering.

Apropos alte Frau: Hatte ich schon erwähnt, dass ich ein absoluter Fan von Anja Reschke bin? Und ganz im Speziellen von ihrer Sendung „Reschke-Fernsehen“? Unbedingt anschauen! Da ging es neulich um das Thema Gendermedizin. Wenn du im Internet danach suchst, findest du recht viel zu diesem Thema: Gendermedizin oder korrekter geschlechtersensible Medizin bezeichnet eine Ausübung von Humanmedizin unter besonderer Beachtung der Unterschiede der Geschlechter. Die Gendermedizin konzentriert sich auf die geschlechtsspezifische Erforschung und Behandlung von Krankheiten. Herzinfarkte sind nur ein Beispiel von vielen, bei denen Frauen medizinisch benachteiligt sind, weil die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau oftmals ignoriert werden. Herzinfarkte zählen zu den häufigsten Todesgründen. Ein stechender Brustschmerz, der bis in den linken Arm wandert - bei diesem Symptom denken Ärzte sofort an einen Herzinfarkt. Je schneller gehandelt wird, desto höher die Überlebenschancen. Tatsächlich tritt dieses "typische" Symptom hauptsächlich bei Männern auf. Bei vielen Frauen kündigen sich Herzinfarkte mit harmlos erscheinenden Symptomen an: Ihnen wird übel, sie erbrechen oder klagen über Rückenschmerzen. Die Folge: Sie kommen im Schnitt eine Stunde später die Notaufnahme - wo jede Minute zählt. Wahnsinn, oder?

Noch ein anderes Beispiel: Im medizinischen Alltag hat sich das Wissen um die geschlechtsspezifischen Unterschiede oft noch nicht durchgesetzt. Viele Untersuchungen zeigen, dass Männer und Frauen oft sehr ähnlich therapiert werden. Medizinisch kann es dann kritisch werden, wenn Ärzte ihren Patientinnen dieselben Medikamente und dieselbe Dosis verschreiben wie ihren männlichen Patienten. Und woran liegt das? Das liegt daran, dass es bis in die 1990er Jahre üblich war, dass nur Männer Tabletten und andere Medikamente getestet haben. Mittlerweile werden Frauen zwar in Studien eingebunden, allerdings nicht in dem Maß, wie es sinnvoll wäre. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau führen dazu, dass einige Medikamente und selbe Dosierungen bei Frauen anders wirken als bei Männern. Der unterschiedliche Hormonhaushalt und Stoffwechsel kann beispielsweise dazu führen, dass Medikamente langsamer abgebaut werden. So hat etwa eine Studie zu einem Beruhigungs- und Schlafmittel in den USA gezeigt, dass Frauen wegen des Medikaments sogar kürzer lebten als Männer. Daraufhin bekamen Frauen das Mittel nur noch mit der halben Dosis verschrieben.

Ich erzähl dir jetzt nicht die ganze Sendung. Wie gesagt, schau dir unbedingt „Reschke-Fernsehen“ an! Was für mich so was von aberwitzig ist, dass dieses wichtige Thema zur Zeit nur an zwei Universitäten in Deutschland gelehrt wird: in Berlin an der Charité und - an der Universität Bielefeld. Und wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es an der Uni Bielefeld die bundesweit erste Professur für geschlechtersensible Medizin. Von wegen, Bielefeld gibt es überhaupt nicht. Wenn die Menschen, die sich so was von akribisch mit dem Thema Gendersternchen befassen. Wenn das doch dieselben wären, die darauf Einfluss nehmen könnten, dass Gendermedizin an jeder Universität gelehrt wird. Mensch, da wären wir in dieser Hinsicht aber mal so was von auf Platz Eins. Und das mal bei einem wirklich wichtigen, was sag ich, lebenswichtigen Thema! 

Mittwoch, 9. August 2023

Der Mord ist fort

Ich sprach ja neulich ausgiebigst von Mülltrennung nach einem Kindergeburtstag. Ich vergaß in dem Zusammenhang zu erwähnen, dass ich kürzlich an meiner Tonne einen orangen Zettel vorfand, auf dem stand, warum meine Tonne nicht geleert worden war. Genau genommen klebten zwei orangene Zettel an der Tonne. Der eine Zettel verwies auf eine Internetseite, wo ich noch mal genau nachlesen kann, was wo reinkommt. Auf dem anderen Zettel (übrigens, so was von grell orange, quasi neon!) stand: Ihre Wertstofftonne konnte nicht entleert werden. Und dann wie beim Multiple-Choice-Verfahren drei Kreise zum Ankreuzen: ○ da der Deckel aufgrund Überfüllung nicht geschlossen war, ○ die Abfälle eingepresst waren, ○ die Tonne falsch befüllt war. Was bin ich so was von froh, dachte ich, dass die Mitarbeiter von bonnorange offensichtlich so viel Zeit haben, sich jede Mülltonne genau anzusehen. Wobei die das dann zeitlich wieder reinholen, wenn sie viele Tonnen nicht leeren. Dass die Kernkompetenz der Müllabfuhr jetzt nicht mehr nur darin besteht, den Müll abzuholen, sondern zusätzlich pädagogisch auf mich einzuwirken.

Aber seit ich nun diesen orangen Zettel studiert habe, bin ich selbstredend nur noch mit Mülltrennung beschäftigt. Gerade mit den Grünabfällen, da habe ich zwischenzeitlich in Erwägung gezogen, jemanden einzustellen, der sich nur um diese Tonne kümmert. Weil einerseits dürfen die Gartenabfälle nicht zu gepresst sein, andererseits muss der Deckel aber schließen. Aber ich bin natürlich so was von stolz, dass ich aktiv dabei sein kann, Deutschland auf Platz Nummer Eins der Mülltrennung zu katapultieren. Ja, das macht mich ein Stück weit stolz! Wo wir ja auch ganz vorne mitmischen: im Wörter-Verbieten. So was von toll, dass wir so viele kompetente Menschen haben, die sich anmaßen, darüber zu entscheiden, welche Wörter nicht mehr benutzt werden dürfen. Wenn ich nicht so unglaublich beschäftigt mit der Mülltrennung wäre, hätte ich mich schon längst mit den entsprechenden Gremien in Verbindung gesetzt. Weil, es gibt da ein Wort, das ich in der deutschen Sprache nicht mehr haben möchte.

Und zwar das Nomen Selbstmord. Es kriminalisiert die Selbsttötenden in einer unhaltbaren Art und Weise. Im Internet heißt es auf die Frage „Was ist der Unterschied zwischen einem Tötungsdelikt und Mord?“: Der Mord sowie der Totschlag basieren beide auf der vorsätzlichen Tötung. Währenddessen der Totschlag durch eine seelische Belastung oder eine heftige Gemütsbewegung ausgelöst wird, zeigt sich der Mord in einer besonderen Skrupellosigkeit bei der Ausführung, den Beweggründen oder dem Zweck. Und § 211 STGB macht klar, dass Mord eine besonders schwere Form der Tötung ist. Woher, bitteschön, kommt diese zutiefst menschenunwürdige Kriminalisierung des Sich-selbst-das-Leben-Nehmens? Weil das Strafgesetzbuch aus einer Zeit stammt, als die christliche Kirche einen viel zu großen Einfluss auf das alltägliche Leben hatte. Sich anmaßte, das Sich-selbst-das-Leben-Nehmen als Mord zu bezeichnen? Weil das Strafgesetzbuch aus einer Zeit stammt, als „Selbstmörder“ nicht auf einem Friedhof beerdigt werden durften? Egal. Aber feststeht: Das Wort Selbstmord hat heutzutage in unserem Sprachgebrauch nichts aber auch gar nichts mehr zu suchen!

Wo ich gerade bei bonnorange und Morden bin. Letztens sind mein Traummann und ich in der Provence geradelt. Und da haben wir auch in Orange übernachtet. Ich hatte es schon wieder vergessen, aber als ich das Bett im Zimmer … Ich weiß beim besten Willen nicht, wie die Franzosen das machen. Vielleicht ist das der Grund, warum alle Schüler in Frankreich ein Jahr das Fach Philosophie belegen müssen. Weil, anders kann ich mir das nicht erklären. Dieses Jahr lautete übrigens das Prüfungsthema in Philosophie: Le bonheur, est-il une affaire de raison? Was so viel heißt: „Ist Glück eine Frage der Vernunft?“ So besagt der Kerngedanke der stoischen Ethik, dass sich Glück, entgegen der allgemeinen Auffassung, nicht nach den äußeren Dingen bestimmt, sondern nach der inneren Einstellung des Menschen und nach seiner Fähigkeit zu vernunftgemäßen Handeln.

Was wollte ich eigentlich sagen? Ach, ja, auf der anderen Seite habe ich aber von jemandem gehört, der private Kontakte zu vielen Franzosen pflegt, dass die mittlerweile in ihren Schlafzimmern, sprich Betten, von solchen Folterungen absehen.

Also ich bin ehrlich, wenn ich so jede Nacht, weil ich ja eben beim Töten war, ich glaube, ich wäre schon längst Witwe, nur um genügend Platz zum Schlafen zu haben (das wäre dann allerdings Mord). Ich weiß nicht, warum die Franzosen ihren Touristen solche Schlafqualen zumuten. Die eine Sache ist ja die, dass du dir eine viel zu schmale Matratze teilst. Wenn du Pech hast, eine nicht mehr ganz neue. Entweder, die hat in der Mitte eine Kuhle, dann knubbelst du dich in dem ohnehin viel zu schmalen Bett zu zweit in der Mitte. Wobei es mir schwerfällt, von einer Mitte zu sprechen, weil der Begriff Mitte nahe legt, dass es ein Drumherum gibt. Oder aber, die Matratze gibt genau da nach, wo sich der schwere Mensch, also mein Mann, bewegt, und ich rolle noch zusätzlich auf seine ohnehin schmale Hälfte. Was soll ich sagen, nach der Nacht in Orange habe ich meinen Traummann sofort auf Diät gesetzt und selbst den ein oder anderen Aperol mehr getrunken, damit wir zwei uns so schnell wie möglich gewichtsmäßig, so weit das möglich ist, annähern.

Was aber die andere Sache ist, das ist die Sache mit der Bettdecke. Betonung auf der. Es gibt nämlich nur eine. Vermutlich der Tatsache geschuldet, dass zwei Bettdecken den ohnehin geringen Platz noch mehr einschränken würden. Es gibt jedenfalls nur eine. Und die ist am Fußende links und rechts so was von fest unter der Matratze fixiert. Ich war jetzt im Zwiespalt. Entweder ich belasse es bei der Fixierung, habe aber das Gefühl, dass meine Beine bandagiert sind. Oder aber ich lockere auf meiner Seite das Laken, riskiere aber, dass mein Traummann sich meine Lakenhälfte auch noch unter den Nagel, sprich Körper, reißt. Ich muss nicht erzählen, wie ich mich über meine Schlafstatt zuhause gefreut habe – und über die absolut traumhafte Figur meines Mannes.