Donnerstag, 27. April 2023

Bloß nicht nackich!

Neulich las es sich in den Medien folgendermaßen: Oben ohne ins Kölner Schwimmbad - Die Kölner Bäder erlauben Frauen ab April, "oben ohne" zu schwimmen. "Es geht künftig um die ausreichende Bedeckung der primären Geschlechtsmerkmale", so die Kölnbäder-Sprecherin Franziska Graalmann. Bislang müssen Frauen ihre Brust bedecken, wenn sie sich im Wasserbecken befinden. Oberkörperfreies Sonnen auf den Liegewiesen ist bereits erlaubt. Oben ohne baden in Köln gilt "bis auf Weiteres".

Grund sei die bundesweite Oben-ohne-Diskussion der vergangenen Jahre gewesen, sagt Sprecherin Graalmann. Unter anderem in Göttingen wurde eine Frau ohne Oberbekleidung eines Schwimmbads verwiesen. Daraufhin gab es Shitstorms im Internet, Klagen und Initiativen, die sich mit dem Thema beschäftigten. "Offenbar gibt es ein sich veränderndes gesellschaftliches Bewusstsein, dem wir hier Rechnung tragen." In Social-Media-Kommentaren wurden aber auch Stimmen laut, die sich gegen nackte Brüste in der Öffentlichkeit aussprachen. Unter anderem fürchten einige Männer die Blicke andere Männer auf die Brüste ihrer Frauen und Freundinnen, Eltern möchten ihre Kinder vor dem Anblick halb nackter Frauen bewahren und religiösen Muslimen ist die Bekleidung von Frauen wichtig. Einige, meist junge Frauen, haben die Sorge belästigt zu werden, sollten sie ihr Oberteil lüften.

In Köln will man sich erstmal anschauen, ob sich überhaupt so viele Frauen trauen, oben ohne baden zu gehen. Zumindest für den Anfang rechnet Graalmann damit, dass das Angebot nur vereinzelt angenommen wird. "Es lässt sich schlecht vorhersagen, allerdings deutet nichts darauf hin, dass jede Person, die heute mit einem Bikini zu uns kommt, ab April nur die Bikinihose tragen wird. Es ist auch weiterhin erlaubt, so in die Bäder zu kommen wie bisher. Dies umfasst eine große Bandbreite an angemessener Badebekleidung: Tankini, Badeanzug, Burkini und Bikini. Die Kölnerinnen, denen Gendergerechtigkeit wichtig ist, werden aller Voraussicht die neu gewonnene Freiheit nutzen. Fast ein Drittel der befragten Frauen einer Umfrage der Deutschen Presseagentur aus dem vergangenen Jahr lehnt "oben ohne" aber ab. 46 Prozent der Männer finden es dagegen gut, wenn Frauen selbst entscheiden können, ob sie mit oder ohne Bikinioberteil baden gehen möchten.

In den vier Hallenbädern und vier Freibädern der Sportwelt Dortmund gab es noch nie ein Verhüllungsgebot für sekundäre Geschlechtsteile wie Brüste. Noch vor 20 Jahren hätten dort rund ein Drittel aller weiblichen Badbesucher ihre Brüste gezeigt, so ein Sprecher von Sportwelt Dortmund. Das habe mit der Zeit aber deutlich abgenommen. Mittlerweile zeigten sich auf den Liegen oder im Wasser nur noch vereinzelt Frauen ohne Bikinioberteil. Ein Grund dafür könnte sein, dass es nicht selten vorkäme, dass Frauen unter Wasser von Männern belästigt und sogar berührt würden. Am Ende entscheidet die Hausordnung eines Schwimmbads darüber, was man ausziehen darf. Viele Badeordnungen schreiben vor, dass Gäste sittsam oder angemessen gekleidet sein sollen. Was das konkret bedeutet, entscheidet das Personal. Manchmal wird das Sonnen oben ohne toleriert, selten das Schwimmen - oft keins von beiden.

In städtischen Bädern machen Kommunen die Regeln, sind die Bäder in privater Hand, entscheiden die Betreiber. Das heißt also: In jeder Stadt und in jedem Bad gelten andere Regeln. In der vergangenen Woche hatten auch die Berliner Bäderbetriebe klargestellt, dass das Schwimmen "oben ohne" für alle Personen gleichermaßen erlaubt sei. Die Aktivistin Lotte Mies, die in einem Schwimmbad in Berlin im Dezember wegen ihrer Oberkörperfreiheit rausgeworfen wurde, hatte sich in der Initiative „Gleiche Brust für alle“ engagiert und so erfolgreich für das Oben-ohne-Baden in Berlin eingesetzt. Die 33-Jährige erhält laut aktuellen Medienberichten Drohungen von Frauen und von Männern. Dennoch plane sie, sich weiter für die Rechte von Frauen einzusetzen. "Wenn es wärmer wird, wollen wir Aktionen wie etwa Picknicks und Wanderausflüge oben ohne starten", sagte Mies.

Da siehst du mal, wie alt ich bin. Als ich mit Anfang zwanzig ins Römerbad ging, war dieses Thema überhaupt keine Zeile in der Presse wert. Und auch ich habe null Gedanken darauf  verschwendet: Ich habe mich ganz tumb, ohne nachzudenken, auf meiner Decke oben ohne gesonnt. Und wenn ich ins Wasser gegangen bin, habe ich mein Bikini-Oberteil angezogen, auch ohne nachzudenken. Über die Jahre hinweg habe ich allerdings immer weniger Frauen gesehen, die sich oben ohne sonnten. Und zuletzt keine einzige! Wo ich jetzt aber erfahre, dass jedes Bad seine eigene Hausordnung hat, und jetzt vieles neu definiert wird. Und wo es jetzt heißt, dass Eltern ihre Kinder vor dem Anblick halb nackter Frauen bewahren wollen. Also da möchte ich mich bitteschön auch ein Stück weit einbringen: Auch ich möchte vor dem Anblick des ein oder anderen Figürchen verschont werden!

Ich fordere daher ein Oben-ohne-Verbot für Männer ab Körbchengröße D!

Wo wir gerade im Freibad sind. Da hats die Sawatzky aber so was von wieder rausgerissen. Die hatte ja in „Sterben ist auch keine Lösung“ die Hauptrolle gespielt. Und da hieß es in meiner Fernsehzeitung zu Recht: In Ingo Raspers Tragikomödie liefern sich die komödienerprobten Walter Sittler und Andrea Sawatzki spritzige Wortgefechte. Wie die Sache enden wird, ist zwar von vornherein klar, aber der Weg dorthin ist durchaus witzig und charmant. Die Schlusspointe wirkt trotz der nicht enden wollenden Jugendlichkeit der Hauptdarstellerin aber etwas zu dick aufgetragen. Und, ja, das stimmt – so was von! Liebe Andrea, in dem Alter filmisch noch schwanger werden, das passt einfach nicht! Es wirkt so was von lächerlich.

Aber, wie gesagt, dann hat sie es ja rausgerissen. Mit ihrer Rolle in dem Spielfilm „Freibad“. Da treffen in einem Frauenfreibad in Deutschland verschiedene Kulturen, Religionen und Dresscodes aufeinander und die Lage gerät zunehmend außer Kontrolle. Die Andrea spielt eine in die Jahre gekommene Schlagersängerin, die als Feministin unter Befreiung der Frau vor allem versteht, sich nicht zu verhüllen. Und auf der anderen Seite hast du die Fraktion der Ganzkörperverhüllten, und, klar, das gesamte Spektrum dazwischen. Ich fand den Film witzig, obwohl die Kritik lautet, der Film setze leider auf allzu viel Klischee in den unterschiedlichen Bereichen und bisweilen auf einen Stammtischhumor. Ich fand ihn gerade deshalb toll. Und vor allem fand ich Andrea Sawatzky so unglaublich toll.

Donnerstag, 6. April 2023

Bildung mit der blonden Babsi



Ich habe mir gerade einmal in meinem SCHAUFENSTER den Veranstaltungskalender  des UKB-Patientenkolloquiums 2023 angeschaut. Da gibt’s zum Beispiel im April eine Veranstaltung zum Thema "Sterbewunsch und assistierter Suizid - wo stehen wir?". Oder auch nett im September "Wie schützen und behandeln wir die verletzliche Hauptschlagader des Lebens?", "Zeitbomben oder Blindgänger - Carotisstenosen, Kavernome, Aneurysmen, Angiome oder andere Gefäßveränderungen im Kopf“ - auch ein Vortrag und "Mundschleimhautveränderungen - immer harmlos?".

Ich merke gerade, ich bin so was von, ich fühle mich so was von krank, überall zwickt es. Während ich die Themen gelesen habe, diese innere Unruhe, die sich da in mir ausgebreitet hat. Ich bräuchte jetzt dringend einen Vortrag über "Psychosomatik und Angstzustände". Von Kopf bis Fuß tut mir alles weh. Du kriegst es ja mit der Angst zu tun, wenn du die Lettern "immer harmlos?" oder "Zeitbomben" liest. Dabei hatte ich mich so was von gefreut, dass ich alte Frau zumindest einmal im Monat einen festen Termin habe, wo ich mich nach draußen aufmachen muss. Die einzige Veranstaltung, die ich mir jetzt noch zutraue, ist der Vortrag mit dem Titel "Kinderbeine - zu kurz, zu lang, zu krumm". Weil, mich betriffts nicht mehr und meine Töchter haben sich längst an ihre entstellten Beine gewöhnt. Aber natürlich frage ich mich, was da heutzutage alles möglich ist, wenn dir die Beinstellung deines Kindes nicht in den Kram passt. Früher hast du das genommen, was du bekamst.

Apropos früher, da hattest du vielleicht X-Beine. Und konntest womöglich zusätzlich nur mühsam addieren, noch schlechter subtrahieren, und das kleine Einmaleins war unerreichbar für dich. Da hat dann deine Mama mit dir ganz viel geübt, viel Zeit investiert, damit auch du es einigermaßen gebacken bekamst. Oder du standest in Mathe eben fünf. Heute gibt es die Diagnose Dyskalkulie und schwupp gibt es lerntherapeutische Unterstützung, um - wie es heißt - Mathematik neu zu erlernen. Oder Rechtschreibung: Da musstest du früher das Diktat eben nochmal üben, wenn sich da viele Fehler eingeschlichen hatten. Heute hast du die Diagnose Lese-Rechtschreib-Schwäche und schwupp wird das Thema auf eine Stunde pro Woche eingedampft. Ich hatte einmal einen Schüler, der erzählte mir sofort zu Beginn, er habe LRS. Ich darauf: "Oh, das tut mir aber leid. Da musst du ja mehr üben und arbeiten als deine Mitschüler." Darauf schaute er mich mit einem Blick an, der übersetzt sagte: "Du blöde Frau, verstehst du nicht, ich habe LRS, ich habe Zertifikat."

Aber klar, auch ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt: Hauptsache Diagnose. (Was, nebenbei, ja auch vielen Therapeuten auf diesem Planeten so was von ihr regelmäßiges Einkommen sichert.) Neulich las ich in der BARBARA, dass Katzenvideos hilfreich beim Prokrastinieren sind. Willst du noch nicht mal im Ansatz wissen, was ich da für Bilder im Kopf hatte. Auf jeden Fall nur Schweinereien. Mein Traummann wusste natürlich, um was es geht, nur ich nicht. Ich habe dann nochmal genau den Satz in der BARBARA gelesen. Und da hieß es: Wer sich Katzenvideos zum Prokrastinieren - und nicht beim Prokrastinieren -  anschaut, muss kein schlechtes Gewissen wegen unerledigter Arbeit haben. Im Gegenteil: Cat-Content minimiert Stress und macht uns fröhlicher. Und es wird sogar noch besser: Studienteilnehmer, die Bilder von niedlichen Katzenbabys und Hundewelpen betrachtet hatten, erledigten Aufgaben, die konzentrierte Aufmerksamkeit erfordern, hinterher sorgfältiger. Kann im Job ja nicht schaden. Wo ich gerade dabei war, fiel mir doch zufälligerweise wieder ein alter Artikel aus meinem SCHAUFENSTER in die Hände: Gemeinsam gegen "Aufschieberitis". (Darf das heutzutage überhaupt noch so genannt werden?) Gemeinsam gegen die "Angst vorm leeren Blatt". In der langen Nacht des Schreibens können Studierende  in der  Universitätsbibliothek konzentriert an ihren Schreibprojekten arbeiten. Die Bonner Lange Nacht des Schreibens findet statt im Rahmen des bundesweiten Events "Die Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten". Hallo, ist das so heute noch zulässig, solch ein Aufruf? Weil, müssen wir nicht erst einmal diagnostizieren, und da geht ja auch schon wieder die ein oder andere Sitzung beim Therapeuten ins Land. Muss nicht erst einmal in langwierigen Sitzungen geklärt werden: Bist du einfach nur stinkefaul oder kriegst du Zertifikat? Sprich, bist du am prokrastinieren am dran am tun? Ja, ich habe mich dann kundig gemacht, im Internet: Prokrastination ist die wissenschaftliche Bezeichnung für pathologisches Aufschiebeverhalten. Prokrastination ist eine ernstzunehmende Arbeitsstörung und kann sowohl private Alltagsaktivitäten als auch schulische, akademische und berufliche Tätigkeiten betreffen. Und da bin ich jetzt mal ehrlich, da bin ich raus. Muss man denn aus jedem Scheiß ein Krankheitsbild machen? Aber, wie ich schon sagte, ein Gutes hat es: Die Arbeitsplätze vieler, vieler Therapeuten sind gesichert. Weil, stell dir mal vor, die stünden jetzt auch noch alle auf der Straße.

Wo ich gerade bei den Therapeuten bin. Da tauchte neulich in den Medien die Frage auf, ob die ambulante Versorgung von psychisch schwer kranken Menschen zusammengebrochen sei. Es hieß, Psychotherapeuten behandelten bevorzugt leichte Störungen wie “Burnout”, während wirklich akut Bedürftige, wie zum Beispiel schwer depressive Menschen, zu lange warten müssten. Und es gebe Berichte, Karl Lauterbach habe die Behauptung aufgestellt, dass in der ambulanten Psychotherapie vor allem „leichte Fälle“ versorgt würden. Diese Behauptung wurde von der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) als eine „Unterstellung“ bezeichnet, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehre. Ich bin ehrlich, wenn ichs mir aussuchen könnte. Also dass ich da jetzt jeden Abend aus meiner psychotherapeutischen Praxis nach Hause gehe und hoffe, dass sich mein Patient nicht morgen vor den Zug schmeißt. Da schlaf ich aber eindeutig besser, wenn ich es mit jemandem zu tun habe, wie dem Ödön. Wenn der Ödön von Horváth jetzt in meine Praxis kommt und mir von seinem Wehwehchen erzählt, was da wäre (ich zitiere): "Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu." Hallo, da nehme ich doch lieber den.