Donnerstag, 29. April 2021

Panik: Die Zahlen fallen!

Was in diesen Tagen ja so was von vorrangig ist, das ist die Frage nach der persönlichen Befindlichkeit. In welchem oder in wessen Körper stecke ich und, vor allem, hat man mich vorher gefragt? Gut, zunächst einmal stecke ich im Körper einer Frau, ohne vorher gefragt worden zu sein oder es hartnäckig hinterfragt zu haben. Und als Buddhistin ginge ich wohl einfach davon aus, in meinem vorigen Leben eine Schnecke oder ein Fisch gewesen zu sein. Und damit wäre es dann gut. Ich habe immer schon gefühlt, dass ich anders bin als andere. Nicht, dass ich damit nicht leben könnte, mit meiner, wie soll ich es formulieren, Neigung. Im Gegenteil, mittlerweile stehe ich dazu und freue mich darüber, habe mich mit meinem Schicksal arrangiert. Aber, ich denke, wir werden zu wenig wahrgenommen, wir Ombrophilen. Aktuell spricht die Wissenschaft nur von ombrophilen Tieren. Wir fühlen uns diskriminiert, weil wir bestenfalls als pluviophil gelten. Wir wollen aber als ombrophile Menschen anerkannt werden. Und dafür kämpfe ich! Auch wir haben ein Recht darauf, als Minderheit eine Stimme zu bekommen - wofür auch immer. Dafür setze ich mich ein. Davon abgesehen, gerade heutzutage ist es ja so was von Vorteil, ombrophil zu sein, also den Regen zu lieben: Je üsseliger das Wetter, je mehr Regen fällt, desto lieber bin ich draußen. Da gibt’s einfach weniger Menschen als bei Sonnenschein. Einfach toll in diesen Zeiten, wo einfach zu viele Deutsche in Deutschland rumhängen.

Was ich aber eigentlich sagen wollte, ich bin mir gerade recht unsicher - nicht in was ich stecke, sondern wo ich lebe. Ich komm wegen der Bilder von Impfzentren drauf, die ich im Fernsehen sehe. Weil, so ein bisschen was von einem, immer mehr habe ich den Eindruck, dass ich quasi in einem Impfzentrum lebe. Diese riesigen Impfzentrum mit super ausgebauten Impfstraßen, also ein Impfzentrum mit einem Drive-In. Alles logistisch auf dem neuesten Stand, perfekt. Die Autos werden so was von fein geleitet, aber - es gibt nichts. Keinen Impfstoff.

Wie in Bonn! Also beeindruckend ist das schon, geradezu imposant, wie sie da so stehen, und vor allem so was von neu, und funktionieren tun sie, glaub ich, auch noch. Ich hab mich sogar schon bei dem Gedanken ertappt, dass ich ein klein wenig stolz war, dass in Bonn überhaupt etwas funktioniert. Oh, schau mal, so wie ich in Aachen stundenlang den Dom bewundere, so stehe ich hier in Bonn davor. Jedes Mal, wenn ich mit meinem Rad die Kölnstraße Richtung Stadt fahre, lese ich am Ring die aktuellen Zahlen. Kürzlich lauteten sie 2314 und 265. Und als ich eine Stunde später auf dem Nachhauseweg zufällig zurückschaute, las ich doch tatsächlich die Zahlen 1981 und 232! Hallo! Was mich da so fasziniert hat, diese Panik, die bei mir aufkam. Ich habe mit meinem Rädchen angehalten und gebannt geschaut, wie die Zahlen runterzählten. In diesen Tagen, in denen es nur um die Anzahl der zur Verfügung stehenden Impfdosen geht. In diesen Tagen packt mich doch tatsächlich die Panik, wenn die Anzahl der aktuell freien Parkhaus-Plätze schrumpft. Seit Wochen prangen sie unübersehbar an Bonns Einfallstraßen, diese riesigen, neuen Anzeigetafeln mit den Lettern "Beethovenstadt Bonn, Stadt. City. Ville". Daneben unübersehbar leuchtend "Parkleitsystem", darunter "freie Parkhaus-Plätze Zentrum und Beethovenhalle". Und dann wirst du weitergeleitet, wo ich mich dann frage, wohin? Hier gibt’s doch nichts zu sehen! Wie in einem Impfzentrum: alles logistisch parat, aber es gibt nichts.

Wo wir gerade beim Beethoven-Parkhaus sind, die Beethovenhalle zum Beispiel, eine never ending Story. Da las sich kürzlich in meinem SCHAUFENSTER unter den Lettern "Sachstand Beethovenhalle" Folgendes: Die Fertigstellung der Beethovenhalle im Rahmen der bisherigen Kosten- und Terminziele ist nach aktuellen Erkenntnissen unter Beibehaltung der aktuellen Rahmenbedingungen gefährdet. In den vergangenen zwölf Monaten wurden auf der Basis einer internen und externen Analyse eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um den angestrebten Fertigstellungstermin Mitte 2024 zu erreichen und den als "Worst-case-Szenario" bezeichneten Kostenrahmen von 166 Millionen Euro einzuhalten (da hatte ich schon den Gedanken, wie viel Impfstoff man davon kaufen könnte). Weiter hieß es, wesentliche Probleme konnten jedoch nicht aufgelöst werden. Die nicht abgeschlossene Planung führe weiterhin zu einer Leistungslücke, die sich zunehmend auf den Projektablauf auswirke (den Satz, diese Formulierung - da musst du erst mal drauf kommen). SGB-Betriebsleiter Lutz Leide erarbeitet einen Vorschlag für das weitere Vorgehen, um dem Risiko einer weiteren Projektverzögerung und Kostenerhöhung zu begegnen. Der arme Herr Leide! Ich sag nur, Obacht bei der Wahl des Nachnamens!

Dann gibt’s da ja auch noch das Münster, dessen Sanierung zwar voranschreitet: Die Altäre werden gereinigt , die Farben leuchten wieder, der Marmor strahlt und der Alabaster wirkt transluzid (das Wort musste unbedingt rein!) wie Alabaster und nicht wie eine undefinierbare dunkle Masse. Aber: geschlossen. Über unser Opernhaus habe ich jetzt keine aktuellen Informationen. Was aber auch völlig belanglos ist. Weil, wenn ich mit meinem Rad am Rhein unterhalb des Theaters vorbeifahre, hallo, da ist aber auch so was von Sanierung angesagt!   

Apropos Sanierung, man kann ja auch noch auf eine andere Art als mit dem Auto ins Impfzentrum, sorry, nach Bonn gelangen, nämlich mit dem Zug. Und da kann man doch tatsächlich mal was Fertiggestelltes sehen: das denkmalgeschützte Hallendach unseres Hauptbahnhofs! Gerade frisch saniert, fertig gestellt, die Bahnsteighalle! Die denkmalgeschützte Sanierung des denkmalgeschützten Hallendaches, erledigt,

Haken dran.

Was wohl schön war, bei all der Aufregung, ich habe dann doch wieder meine innere Ruhe und Gelassenheit gefunden. Ich habe einfach in meinem SCHAUFENSTER den richtigen Artikel gelesen. Wobei ich dieses Mal geschwankt habe zwischen "Findelkinder mit Pinselohren, Ehepaar aus Rüngsdorf päppelt zwei kleine Eichhörnchen auf" und "Trendfarbe 2021: Beige - ruhig, subtil, aber keinesfalls langweilig".

Mittwoch, 7. April 2021

Neues Wort gelernt: "Armlehnen-Anrainer"

Ärgerlich ist das schon, das mit dem Altwerden. Früher, wenn mich da jemand am Berg zügig auf dem Fahrrad überholt hat, saß der (ne, klar!) fast immer auf einem E-Bike. Neulich aber strample ich den Venusberg hoch, und da werde ich doch von einer Frau mittleren Alters überholt, zügigst, auf einem stinknormalen Fahrrad. Könnte natürlich auch daran liegen, dass ich ob des Verweilverbots ständig in Bewegung bin und deshalb so was von erschöpft bin.

Auf der anderen Seite bin ich aber definitiv gelenkiger geworden. Ob des Virus drücke ich Türklinken nur noch mit den Füßen runter und hüpfe auf einem Bein durch die Tür, mit dem anderen Fuß selbige aufhaltend. Aufzugtüren halte ich mit dem Oberarm auf, wahlweise auch mit der Hüfte, meinen Einkaufswagen schubse ich ja sowieso nur mit den Unterarmen. Und Klingeln an Türen - nur noch mit dem Ellenbogen. Was dazu führt (ich erwähnte es schon), dass ich immens viele blaue Flecken habe.

Wo ich gerade bei Ellenbogen bin, ich bin ja so was von froh, dass ich in diesen Tagen nicht nach Mallorca geflogen bin. Also da hätte ich wirklich Angst gehabt. Ich stelle es mir geradezu dramatisch vor. Gut, auf der Insel kannst du dich ja verteilen. Oder, wie man auch sagt, es verläuft sich ja. Und das können mein Traummann und ich so was von gut, sich verlaufen. Also wir kommen garantiert nicht mit Menschen zusammen. Wir sind eigentlich meist ganz alleine, auch wenn wir das so gar nicht wollen. Selbst auf perfekt ausgeschilderten Wanderwegen schaffen wir es, uns zu verlaufen. Wo ich gerade beim Wandern bin, es ist ja nun so, dass Nordrhein-Westfalen das bevölkerungsreichste Bundesland ist. Und da hätte ich mir von Seiten der Regierungsverantwortlichen gewünscht, einmal folgende Maßnahme in die Tat umzusetzen: Einfach mal alle Flugzeuge wieder an den Start und so viel wie möglich Freiwillige anwerben, die sich auf Staatskosten nach Mallorca fliegen lassen. Dort werden sie, entsprechend ausgerüstet, im Tramuntana-Gebirge in Ein-Haushalt-Gruppen für zwei Wochen zum Wandern ausgesetzt. Die Inzidenzzahlen würden hier in Bonn am Rheinufer oder in Düsseldorf in der Altstadt so was von fallen, und das Verweilverbot hätte sich so auch erledigt. Ich wäre da sofort mit geflogen, wenn ich nicht diese verdammte Angst hätte.

Weil, was ich eigentlich sagen wollte, im Flieger ist ja die Gefahr am größten. Da sitzt du ja so was von aufeinander und musst dir eine Armlehne teilen. Und ich mit meinen ramponierten Ellenbogen, ich hätte da jetzt womöglich. Da hilft mir auch nicht wirklich folgender feiner, kleiner Artikel. Da schreibt die Benimmautorin Lizzie Post, die Armlehne sei technisch gesprochen Teil beider Sitze. Deshalb dürfen sie auch beide Passagiere benutzen. Aber dafür sei sie, die Armlehne, in der Regel zu klein. Daher ein Kompromiss: Ein Fluggast verwendet das vordere, der andere das hintere der Armlehne. Unnachgiebige Zeitgenossen spricht man im Zweifelsfall direkt an, etwa mit den Worten: "Stört es Sie, wenn ich meinen Ellenbogen hier zurücklege und Ihnen den vorderen Teil der Armlehne überlasse?" Die gemeinsame Armlehne gehört also niemandem. Es gibt aber eine Gepflogenheit: Passagiere des Gang- und des Fenstersitzes sollten dem in der Mitte Sitzenden gegenüber "Armlehnenvorrang" gewähren. Denn die außen Sitzenden verfügen ja bereits über eine eigene Lehne. Und der Mittelsitzer hat auch sonst nur Nachteile: kein Fenster, keinen direkten Zugang zum Gang - und dann noch zwei Armlehnen, die auch die Nachbarn beanspruchen. Eins gehe auf gar keinen Fall: den Sitznachbarn zu berühren. Körperkontakt ist unter fremden Menschen tabu. Wenn es trotzdem passiert, bleibt für den Gestoßenen nur, angemessen zu reagieren. Aber wie? (Ich war so was von aufgeregt ob der Auflösung!) Lizzi Post riet zu Formulierungen wie: "Würde es Ihnen etwas ausmachen, auf Ihren Ellenbogen zu achten? Es scheint mich ein bisschen zu stoßen." (So genau und nicht anders heißt es dort! Aber der Artikel ist noch nicht zu Ende, Spannung steigt.) Und wenn der andere nicht aufhört und weiter auf Tuchfühlung geht? Dann bleibt nur, den Flugbegleiter einzuschalten. Die Ex-Stewardess Beth Blair empfiehlt dazu, nicht den Rufknopf zu drücken. Besser ist es aufzustehen und den Flugbebleiter direkt zu kontaktieren. Dann bleibt dem die Möglichkeit, gesichtswahrend mit der anderen Partei zu sprechen. "Es existiert kein Recht auf Armlehnen", erklärt Heinz Klewe, Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr. Rein juristisch gesehen, darf die Armlehne im Zweifel also keiner von beiden Anrainern nutzen.  

Apropos angemessen reagieren - vor allem gesichtswahrend. Neulich wechselte ich mit meinem Fahrrad von der rechten Spur über die Mittelspur auf die Linksabbiegerspur, um an der Ampelkreuzung links abzubiegen. Selbstredend hatte ich vorher in angemessenem zeitlichen Abstand meine Absicht per Armzeichen kundgetan. Da kommt neben mir auf gleicher Höhe an besagter roten Ampel ein Auto zum Stehen: offene Fenster, laute Musik, Mann, sämtliche Klischees bedienend. Der brüllt mich an, ob ich Fotze sie denn noch alle habe. Seiner Meinung nach hatte ich meinen Spurwechselvorgang zu früh eingeleitet. Interessant für mich in dem Zusammenhang, ich dachte bis jetzt, das Wort Fotze sei schon ein recht derbes Wort. Der Mann scheute aber keine Mühen, meinen Horizont diesbezüglich zu erweitern. Was aber, und deshalb erzähl ich es, total super für mich war. Weil ich konnte einmal meine gesamte aufgestaute Wut des letzten Jahres, meinen Frust über all das, was schief gelaufen ist, meine Wut über Menschen, die es sich so was von bequem in der Corona-Hängematte gemacht haben, über sanktionierte Kreativlosigkeit. Diese ganze aufgestaute Wut konnte ich jetzt rauslassen, laut, sehr laut. Was habe ich laut gebrüllt und welch wunderbare Beleidigungen fielen mir ein. Ich wusste ja gar nicht, was mir alles an Fäkalienausdrücken zur Verfügung steht! Was soll ich sagen: Es war so was von befreiend, ohne FFP2-Maske, das Gesicht zeigend, nicht wahrend! Ich bin dem Mann so was von dankbar. Für mich war das so was von reinigend - besser als fünf Jahre Anti-Aggressionsseminar! Ich bin wohl ehrlich, im Nachhinein hat er mir ein wenig leid getan, der arme Mann.