Dienstag, 14. April 2015

Die Schaufenster und nicht das "Schaufenster" - So viele Bilder im Kopf

So gegen halb zehn an einem Donnerstag in meiner Stadt. 
Die ersten Geschäfte schon geöffnet, noch sind keine Kunden da. Deshalb wird hier noch eben gesaugt und dort im Eingangsbereich geputzt. Hinter vielen Schaufenstern ist es noch dunkel, kein Lebenszeichen von drinnen, kein Licht. Ich fahre mit dem Fahrrad von meinem Auerberg über die Kölnstraße in meine Stadt - wie seit Jahrzehnten. Und seit Jahrzehnten am BLUMENHAUS ENGELS vorbei - auf der rechten Seite kurz vor dem Martinsplatz gegenüber dem ehemaligen Krankenhaus. Und wieder erfreue ich mich an den geschmackvoll dekorierten hohen Schaufenstern des alten Eckhauses, genieße vorbeifahrend die Blumenpracht, werde eingestimmt auf Jahreszeiten und anstehende Feste. Dieses Mal sind es die Tulpen und Narzissen, die Krokusse und das Osterfest (ein zarter Wehmutsstich: Noch nie habe ich hier einen Blumenstrauß gekauft!).

Am Berta-von-Suttner-Platz schwenke ich nach links, lasse den Peter, den KASTENHOLZ, rechts liegen, kaufe in der Bäckerei SCHELL zwei unverschämt leckere Mailänderhörnchen. Weiter geht's mit Blumen im Kopf und Mandelhörnchen in der Tasche kurz Richtung Kennedy-Brücke, dann aber rechts und sofort wieder rechts in die Friedrichstraße.
Und wieder das Eckhaus ein HAUS DER BLUMEN, steige ab, wunderschöne Osterdekoration (-50% Rabatt). Ranunkeln stehen dreist im Freien, verlangen nach Aufmerksamkeit, nehmen Raum ein, Platz weg, brauchen keine Angst zu haben, weil Fußgängerzone. So friedlich die Friedrichstraße um diese frühe Tageszeit, so blumig am Ende die Straße (und, ja, auch hier habe ich noch nie Blumen gekauft!).

Will schon weiter, weil verabredet, um zehn Uhr im neuen Kirchenpavillon der Kreuzkirche am Kaiserplatz. Entdecke jedoch zwei Häuser weiter im Schaufenster des Geschäfts KISS THE INUIT bizarre, tierähnliche Skulpturen - und ein großes Plakat: 21.3. - bis 30.4. Material World Georg Wittner "Wenn aus alten Dingen Neues entsteht, kann es Kunst sein. Oder Mode." Gott sei Dank hat der Laden noch geschlossen, hätte mich sonst in der Zeit verlaufen!
Weiter die Friedrichstraße entlang und links in die Wenzelgasse. Komme rechts an KULT vorbei, Schaufenster beklebt mit RÄUMUNGSVERKAUF WIR SCHLIESSEN APRICOT TOM TAYLOR ONLY -70%. Mein Gott, wie jung war ich, als in diesem Ladenlokal BLÖMER war. Und wiederum wie viele Jahre gibt es dort nun schon BUTLERS und KULT?

Wehmut mischt sich zwischen Blumen und Mailänderhörnchen. Bin auf dem Marktplatz angekommen. Obst und Gemüse zwischen den Schaufenstern von HUT WEBER und ALLERMANN. Diese Schaufenster aus einer anderen Zeit? ALLERMANN, weiße Lettern auf dunkelgrüner Markise, goldene Buchstaben auf Glas. Und plötzlich Traurigkeit. Erinnerung an einen lieben, verstorbenen Freund, mit dem ich hier viele Jahre den Rosenmontagszug geschaut habe. Bei KASTENHOLZ habe ich immerhin schon einen Nadeleinfädler gekauft, aber HUT WEBER und Herrenausstatter ALLERMANN? - Fehlanzeige. Können alle nicht von mir als Kundin leben! Plötzlich sehe ich mich im Schaufenster lächeln: Aber mein verstorbener Freund war Stammkunde bei ALLERMANN, das zählt auch. Hat schon geöffnet, neben der Eingangstür ein Pappkarton mit ausrangierten Kleiderbügeln zum Mitnehmen. Nehme mir drei.

Lasse das alte Rathaus links liegen, vorbei am klitzekleinen DESIGUAL-Laden, der immer im Schatten liegt, zu einem anderen Eckhaus: BEATE UHSE. Was haben das Hutgeschäft, der Herrenausstatter und der Erotikshop gemeinsam? Es gibt sie, solange ich in Bonn wohne (und ich wohne schon sehr lange in Bonn) und ich war in allen drei Läden noch nie Kundin. Fahre an DEITERS vorbei, immer noch daneben die Buchstaben BOUVIER. Dass BOUVIER geschlossen hat, liegt definitiv nicht an mir, habe dort viele Bücher gekauft, aus Papier.

Biege links ab Richtung Kaiserplatz. Auf der linken Seite das Schaufenster von J.M.H.WALTZINGER, Mode in Bonn. Kann mich noch gut daran erinnern, als WALZINGER in der Kaiserpassage war. Das war zu der Zeit, als Bonn noch Bundeshauptstadt war: Die Diplomatengattinnen kauften dort ein und draußen parkten die schwarzen Limousinen mit ihren 00-Kennzeichen im absoluten Halteverbot. Ich vermisse sie nicht!
Noch habe ich ein paar Minuten, bevor die Glocken mit ihrem 10-Uhr-Läuten beginnen - also Zeit für die Schaufenster von VOLLMAR & SÖHNE, Feine Waren seit 1861! Gediegenes Eckhaus in grau und schwarz Ecke Kaiserplatz/Am Neutor. SCHMUCK SILBER PORZELLAN prangt es in großen Lettern am Haus. In den Schaufenstern nur Feinstes von Fürstenberg, Christian Lacroix und KPM. Auch hier habe ich noch nie etwas gekauft. Aber das stundenlange vor den Schaufenstern Stehen und Bewundern muss auch in die Waagschale geworfen werden! Die Glocken der Kreuzkirche läuten, auf dem Kaiserplatz, in meiner Stadt, um zehn Uhr.

PS: Habe mir übrigens die Ausstellung von Georg Wittner angesehen - toll! Läuft noch bis zum 30. April im KISS THE INUIT. Nicht verpassen!
Habe überlegt, wo ich in Zukunft Geld lassen werde. Habe mich mittlerweile damit abgefunden, dass ich auch in Zukunft nicht bei HUT WEBER und Herrenausstatter ALLERMANN einkaufen werde. Habe dafür aber beschlossen, ich hatte es immer schon mal vor, damit man auch weiß, wovon man spricht: Also "Dschungel Camp" zum Beispiel, da hab' ich auch schon mal zehn Minuten reingeschaut, damit ich auf dem Laufenden bin und weiß, worüber sich die Welt erregt. Oder damals "Dallas" - keiner sah sich die Serie regelmäßig an, aber als in der Bonner Oper eine Persiflage auf "Dallas" aufgeführt wurde, gab es Standing Ovations. Hab' mich damals gefragt, wie ich eine Persiflage so bejubeln kann, wenn ich doch das Original nicht kenne. Also wie dem auch sei, diese Beate ist irgendwie Zeitgeschichte, also Geschichte, also Bildung im weiteren Sinne. Immerhin war sie eine der einflussreichsten deutschen Frauen, hat 1962 in Flensburg den ersten Sexshop der Welt eröffnet. Und es gibt über sie eine Fernseh-Biographie aus dem Jahr 2011 mit dem Titel "Beate Uhse - Das Recht auf Liebe". 

Und Blumen werde ich kaufen, viele Blumensträuße, viele Blumen, viele Sträuße, viele!