Mittwoch, 30. August 2023

Herr Ring zieht nach

Letztens war ich ja bei Mülltrennung und Philosophie. Jetzt nicht als ein zusammengehöriges Thema, sondern zwei voneinander unabhängige. Wobei ich sagen muss, dass das Thema Mülltrennung schon eine Philosophie für sich ist. Ich hatte ja diesen Zettel an meiner Grünabfälle-Tonne, du weißt schon, auf dem die Gründe aufgelistet waren, warum meine Tonne nicht geleert wurde. Und ich habe da so einen blöden Nachbarn, den ich einfach mal ärgern wollte. Deshalb habe ich dem in der Nacht vor der Leerung in seine grüne Biotonne obenauf eine grellbunte Plastiktüte gelegt. Diese Tonne hat so was von nach Verwesung gestunken. Du konntest glatt denken, der Nachbar hätte da eine Leiche entsorgt. Und die noch zwei weitere Wochen vor seinem Haus, unmittelbar unter seinem Küchenfenster – hätte ich echt spaßig gefunden. Was soll ich sagen, ich am anderen Morgen, schön gemütlich eingerichtet. Will sagen: Fenster auf, Kissen auf die Fensterbank und fein mal rausgelehnt. Und was soll ich dir sagen? Da kommen die von bonnorange, hinten die zwei Mitarbeiter so was von ins Gespräch vertieft und leeren doch tatsächlich die Tonne! Hallo, ich öffnete schon den Mund um „Aber da war doch eine Plastiktüte drin!“ zu brüllen, was ich dann aber aus verständlichen Gründen nicht getan habe. Natürlich machst du dir dann so deine Gedanken, von wegen „Muss ich neuerdings die Müllabfuhr schmieren, damit die mir die Tonne leeren?“.

Wo ich ja letztens auch bei der Philosophie gelandet war. Neulich habe ich den Spielfilm „Glück auf einer Skala von 1 bis 10“ geschaut. Darin folgender Dialog zwischen den beiden Protagonisten:

Igor (mit einer zerebralen Bewegungsstörung): Diogenes hat gesagt, um frei zu sein von dem, was Andere denken, sollte man einen Hering hinter sich herziehen.

Louis: Einen Hering?

Igor: … und so durchs Leben gehen.

Louis: Schon klar.

Igor: Der Vorteil ist, dass ich sowieso schon der Hering bin. Und übrigens, was die Anderen denken, ist mir schon scheiß egal!

Ich finde dieses Bild, dass ich einen Hering hinter mir herziehe, so was von gut. Aber dass Igor noch einen draufsetzt und sich selbst mit seinen Verrenkungen als Hering bezeichnet! Und das geht nicht nur dem Igor so. Mal ein Beispiel: Wenn eine junge Frau eine geblümte Hose und ein Streifen-T-Shirt trägt, dann soll das wohl so. Dann hat sie das bewusst kombiniert: Mustermix. Wenn ich in meinem Alter so rumlaufe, na ja, im günstigsten Fall: einfach nur schon recht schlechte Augen. Im schlechteren Fall: schon recht verwirrt. Da bin ich eben auch schnell mal der Hering.

Apropos alte Frau: Hatte ich schon erwähnt, dass ich ein absoluter Fan von Anja Reschke bin? Und ganz im Speziellen von ihrer Sendung „Reschke-Fernsehen“? Unbedingt anschauen! Da ging es neulich um das Thema Gendermedizin. Wenn du im Internet danach suchst, findest du recht viel zu diesem Thema: Gendermedizin oder korrekter geschlechtersensible Medizin bezeichnet eine Ausübung von Humanmedizin unter besonderer Beachtung der Unterschiede der Geschlechter. Die Gendermedizin konzentriert sich auf die geschlechtsspezifische Erforschung und Behandlung von Krankheiten. Herzinfarkte sind nur ein Beispiel von vielen, bei denen Frauen medizinisch benachteiligt sind, weil die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau oftmals ignoriert werden. Herzinfarkte zählen zu den häufigsten Todesgründen. Ein stechender Brustschmerz, der bis in den linken Arm wandert - bei diesem Symptom denken Ärzte sofort an einen Herzinfarkt. Je schneller gehandelt wird, desto höher die Überlebenschancen. Tatsächlich tritt dieses "typische" Symptom hauptsächlich bei Männern auf. Bei vielen Frauen kündigen sich Herzinfarkte mit harmlos erscheinenden Symptomen an: Ihnen wird übel, sie erbrechen oder klagen über Rückenschmerzen. Die Folge: Sie kommen im Schnitt eine Stunde später die Notaufnahme - wo jede Minute zählt. Wahnsinn, oder?

Noch ein anderes Beispiel: Im medizinischen Alltag hat sich das Wissen um die geschlechtsspezifischen Unterschiede oft noch nicht durchgesetzt. Viele Untersuchungen zeigen, dass Männer und Frauen oft sehr ähnlich therapiert werden. Medizinisch kann es dann kritisch werden, wenn Ärzte ihren Patientinnen dieselben Medikamente und dieselbe Dosis verschreiben wie ihren männlichen Patienten. Und woran liegt das? Das liegt daran, dass es bis in die 1990er Jahre üblich war, dass nur Männer Tabletten und andere Medikamente getestet haben. Mittlerweile werden Frauen zwar in Studien eingebunden, allerdings nicht in dem Maß, wie es sinnvoll wäre. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau führen dazu, dass einige Medikamente und selbe Dosierungen bei Frauen anders wirken als bei Männern. Der unterschiedliche Hormonhaushalt und Stoffwechsel kann beispielsweise dazu führen, dass Medikamente langsamer abgebaut werden. So hat etwa eine Studie zu einem Beruhigungs- und Schlafmittel in den USA gezeigt, dass Frauen wegen des Medikaments sogar kürzer lebten als Männer. Daraufhin bekamen Frauen das Mittel nur noch mit der halben Dosis verschrieben.

Ich erzähl dir jetzt nicht die ganze Sendung. Wie gesagt, schau dir unbedingt „Reschke-Fernsehen“ an! Was für mich so was von aberwitzig ist, dass dieses wichtige Thema zur Zeit nur an zwei Universitäten in Deutschland gelehrt wird: in Berlin an der Charité und - an der Universität Bielefeld. Und wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es an der Uni Bielefeld die bundesweit erste Professur für geschlechtersensible Medizin. Von wegen, Bielefeld gibt es überhaupt nicht. Wenn die Menschen, die sich so was von akribisch mit dem Thema Gendersternchen befassen. Wenn das doch dieselben wären, die darauf Einfluss nehmen könnten, dass Gendermedizin an jeder Universität gelehrt wird. Mensch, da wären wir in dieser Hinsicht aber mal so was von auf Platz Eins. Und das mal bei einem wirklich wichtigen, was sag ich, lebenswichtigen Thema! 

Mittwoch, 9. August 2023

Der Mord ist fort

Ich sprach ja neulich ausgiebigst von Mülltrennung nach einem Kindergeburtstag. Ich vergaß in dem Zusammenhang zu erwähnen, dass ich kürzlich an meiner Tonne einen orangen Zettel vorfand, auf dem stand, warum meine Tonne nicht geleert worden war. Genau genommen klebten zwei orangene Zettel an der Tonne. Der eine Zettel verwies auf eine Internetseite, wo ich noch mal genau nachlesen kann, was wo reinkommt. Auf dem anderen Zettel (übrigens, so was von grell orange, quasi neon!) stand: Ihre Wertstofftonne konnte nicht entleert werden. Und dann wie beim Multiple-Choice-Verfahren drei Kreise zum Ankreuzen: ○ da der Deckel aufgrund Überfüllung nicht geschlossen war, ○ die Abfälle eingepresst waren, ○ die Tonne falsch befüllt war. Was bin ich so was von froh, dachte ich, dass die Mitarbeiter von bonnorange offensichtlich so viel Zeit haben, sich jede Mülltonne genau anzusehen. Wobei die das dann zeitlich wieder reinholen, wenn sie viele Tonnen nicht leeren. Dass die Kernkompetenz der Müllabfuhr jetzt nicht mehr nur darin besteht, den Müll abzuholen, sondern zusätzlich pädagogisch auf mich einzuwirken.

Aber seit ich nun diesen orangen Zettel studiert habe, bin ich selbstredend nur noch mit Mülltrennung beschäftigt. Gerade mit den Grünabfällen, da habe ich zwischenzeitlich in Erwägung gezogen, jemanden einzustellen, der sich nur um diese Tonne kümmert. Weil einerseits dürfen die Gartenabfälle nicht zu gepresst sein, andererseits muss der Deckel aber schließen. Aber ich bin natürlich so was von stolz, dass ich aktiv dabei sein kann, Deutschland auf Platz Nummer Eins der Mülltrennung zu katapultieren. Ja, das macht mich ein Stück weit stolz! Wo wir ja auch ganz vorne mitmischen: im Wörter-Verbieten. So was von toll, dass wir so viele kompetente Menschen haben, die sich anmaßen, darüber zu entscheiden, welche Wörter nicht mehr benutzt werden dürfen. Wenn ich nicht so unglaublich beschäftigt mit der Mülltrennung wäre, hätte ich mich schon längst mit den entsprechenden Gremien in Verbindung gesetzt. Weil, es gibt da ein Wort, das ich in der deutschen Sprache nicht mehr haben möchte.

Und zwar das Nomen Selbstmord. Es kriminalisiert die Selbsttötenden in einer unhaltbaren Art und Weise. Im Internet heißt es auf die Frage „Was ist der Unterschied zwischen einem Tötungsdelikt und Mord?“: Der Mord sowie der Totschlag basieren beide auf der vorsätzlichen Tötung. Währenddessen der Totschlag durch eine seelische Belastung oder eine heftige Gemütsbewegung ausgelöst wird, zeigt sich der Mord in einer besonderen Skrupellosigkeit bei der Ausführung, den Beweggründen oder dem Zweck. Und § 211 STGB macht klar, dass Mord eine besonders schwere Form der Tötung ist. Woher, bitteschön, kommt diese zutiefst menschenunwürdige Kriminalisierung des Sich-selbst-das-Leben-Nehmens? Weil das Strafgesetzbuch aus einer Zeit stammt, als die christliche Kirche einen viel zu großen Einfluss auf das alltägliche Leben hatte. Sich anmaßte, das Sich-selbst-das-Leben-Nehmen als Mord zu bezeichnen? Weil das Strafgesetzbuch aus einer Zeit stammt, als „Selbstmörder“ nicht auf einem Friedhof beerdigt werden durften? Egal. Aber feststeht: Das Wort Selbstmord hat heutzutage in unserem Sprachgebrauch nichts aber auch gar nichts mehr zu suchen!

Wo ich gerade bei bonnorange und Morden bin. Letztens sind mein Traummann und ich in der Provence geradelt. Und da haben wir auch in Orange übernachtet. Ich hatte es schon wieder vergessen, aber als ich das Bett im Zimmer … Ich weiß beim besten Willen nicht, wie die Franzosen das machen. Vielleicht ist das der Grund, warum alle Schüler in Frankreich ein Jahr das Fach Philosophie belegen müssen. Weil, anders kann ich mir das nicht erklären. Dieses Jahr lautete übrigens das Prüfungsthema in Philosophie: Le bonheur, est-il une affaire de raison? Was so viel heißt: „Ist Glück eine Frage der Vernunft?“ So besagt der Kerngedanke der stoischen Ethik, dass sich Glück, entgegen der allgemeinen Auffassung, nicht nach den äußeren Dingen bestimmt, sondern nach der inneren Einstellung des Menschen und nach seiner Fähigkeit zu vernunftgemäßen Handeln.

Was wollte ich eigentlich sagen? Ach, ja, auf der anderen Seite habe ich aber von jemandem gehört, der private Kontakte zu vielen Franzosen pflegt, dass die mittlerweile in ihren Schlafzimmern, sprich Betten, von solchen Folterungen absehen.

Also ich bin ehrlich, wenn ich so jede Nacht, weil ich ja eben beim Töten war, ich glaube, ich wäre schon längst Witwe, nur um genügend Platz zum Schlafen zu haben (das wäre dann allerdings Mord). Ich weiß nicht, warum die Franzosen ihren Touristen solche Schlafqualen zumuten. Die eine Sache ist ja die, dass du dir eine viel zu schmale Matratze teilst. Wenn du Pech hast, eine nicht mehr ganz neue. Entweder, die hat in der Mitte eine Kuhle, dann knubbelst du dich in dem ohnehin viel zu schmalen Bett zu zweit in der Mitte. Wobei es mir schwerfällt, von einer Mitte zu sprechen, weil der Begriff Mitte nahe legt, dass es ein Drumherum gibt. Oder aber, die Matratze gibt genau da nach, wo sich der schwere Mensch, also mein Mann, bewegt, und ich rolle noch zusätzlich auf seine ohnehin schmale Hälfte. Was soll ich sagen, nach der Nacht in Orange habe ich meinen Traummann sofort auf Diät gesetzt und selbst den ein oder anderen Aperol mehr getrunken, damit wir zwei uns so schnell wie möglich gewichtsmäßig, so weit das möglich ist, annähern.

Was aber die andere Sache ist, das ist die Sache mit der Bettdecke. Betonung auf der. Es gibt nämlich nur eine. Vermutlich der Tatsache geschuldet, dass zwei Bettdecken den ohnehin geringen Platz noch mehr einschränken würden. Es gibt jedenfalls nur eine. Und die ist am Fußende links und rechts so was von fest unter der Matratze fixiert. Ich war jetzt im Zwiespalt. Entweder ich belasse es bei der Fixierung, habe aber das Gefühl, dass meine Beine bandagiert sind. Oder aber ich lockere auf meiner Seite das Laken, riskiere aber, dass mein Traummann sich meine Lakenhälfte auch noch unter den Nagel, sprich Körper, reißt. Ich muss nicht erzählen, wie ich mich über meine Schlafstatt zuhause gefreut habe – und über die absolut traumhafte Figur meines Mannes.

Dienstag, 18. Juli 2023

Kindergeburtstage – besser trennen?


Da siehst du wieder, wie alt ich bin. Ich hatte immer Horror vor Kindergeburtstagen, aus vielerlei Gründen. Ich habe sogar mal den Satz formuliert, man solle seinen Kinderwunsch daran festmachen, wie viele Kindergeburtstage man im Jahr durchstehen will. Was für mich immer ganz schlimm war: Der Geburtstag ist vorbei, die GastkinderInnen werden von ihren Eltern abgeholt, zumindest ist das der Plan. Aber statt dass die sich einfach ihre Brut schnappen und abziehen, kommen die zur Tür rein und setzen sich fest. Wildfremde Menschen, mit denen ich nichts zu tun habe, manchmal auch tatsächlich nichts zu tun haben will, sitzen auf meinem Sofa, lassen sich am Ende noch bedienen und kriegen den Arsch nicht hoch. Die total tiefenentspannt, ich total fertig mit den Nerven. Da hast du es heutzutage eindeutig besser.

Ich sag nur Überschrift in meinem SCHAUFENSTER: Richtige Müllentsorgung ist kein Kindergeburtstag. Nach der Geburtstagsparty heißt es aufräumen und die Reste entsorgen. Die allermeisten Eltern haben das Dilemma schon selbst erlebt: Die Party war klasse, das Geburtstagskind ist glücklich, die Wohnung wirkt verwüstet: Zerrissenes Geschenkpapier, schlappe Luftballons, leere Schokokussverpackungen. Auch nach der tollsten Kindergeburtstagsparty muss aufgeräumt werden. Doch wohin mit Geschenkverpackungen, leeren Chipstüten und kaputter Deko? Wie Sie Abfälle richtig entsorgen, erfahren Sie hier. Gut erhaltene Kartons oder Geschenkpapier können Sie aufbewahren und damit wieder Geschenke verpacken. (Ist das nicht wieder mal ein ganz toller Tipp? Ein ganz neuer Ansatz, epochal!) Zerrissenes Papier, nicht mehr brauchbare Pappkartons und Schachteln kommen in die Altpapiertonne. Allerdings müssen vorher Glitzersterne, Schleifen oder anderer Schmuck entfernt werden. Denn die gehören nicht ins Altpapier. Vorsicht: Geschenkpapier mit Kunststoffbeschichtung gehört in den Restmüll. Folien und schützende Innenverpackungen wie Boxen, Luftpolsterfolien, Blister und Trays aus Kunststoff gehören in die Gelbe Tonne oder in den Gelben Sack. Gebrauchte Mottodekoration aus Papier und Pappe, wie schlappe Girlanden, Luftschlangen, kaputte Prinzessinnenkrönchen oder Batman-Masken, kommen ins Altpapier. (Ist das denn überhaupt noch in irgendeiner Weise vertretbar - ein Prinzessinnenkrönchen? Mal ganz davon abgesehen, dass es hier so rüberkommt, als ob nur Mädchen. Also kleine Menschen, von denen wir früher als Mädchen gesprochen haben, also … Zumindest sollte es PrinzessInnenkrönchen heißen. Und, handelt es sich bei einer Krone nicht um eine Aneignung einer gesellschaftlichen Position?) Auch hier gilt: Alles, was nicht aus Papier oder Pappe besteht, muss vorher entfernt werden. Ist die Dekoration mit einer Glitzeroberfläche beschichtet, gehört sie in den Restmüll. Zerplatzte Luftballons dürfen nicht in die Gelbe Tonne oder in den Gelben Sack entsorgt werden, denn sie sind keine Verpackung. Sie gehören in die Restmülltonne. (Das war für mich jetzt zum Beispiel vollkommen neu, dass zerplatzte Luftballons keine Verpackung sind. Ich habe immer wieder mal versucht, ein Buch in einen zerplatzten Luftballon zu stopfen, es hat nie geklappt. Jetzt weiß ich auch, warum!) Beschichtete Kartonverpackungen von Schokoküssen dürfen in die Gelbe Tonne oder in den Gelben Sack. (Wo ich da gerade Schokoküsse lese. Das kann ich auch keinem Menschen irgendwie begreiflich machen, wie ich mich jetzt im Nachhinein so was von schlecht fühle, dass ich Jahrzehnte vollkommen unreflektiert Negerküsse gesagt habe. Und wo ich gerade bei dem N-Wort bin: Aus dem Negerkönig von der Astrid Lindgren ist ja nun der Südseekönig geworden.

Jetzt habe ich neulich noch einmal „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry zur Hand genommen. Und da liest es sich im Kapitel XVI wie folgt: Der siebente Planet war also die Erde. Die Erde ist nicht irgendein Planet! Man zählte da hundertelf Könige, wenn man, wohlgemerkt, die Negerkönige nicht vergisst … Ich habe eine uralte Ausgabe aus dem Jahr 1958. Deshalb bin ich dann mal in einen Buchladen gegangen und habe in neue Auflagen geschaut. Und habe doch tatsächlich noch die Negerkönige gefunden - und mich so was von gefreut. Ich hoffe, dass diese Könige denen durchgegangen sind, die sich mit welcher Begründung auch immer anmaßen, Weltliteratur umzuschreiben, „Zeitzeugen“ nachträglich zu manipulieren.) Gebrauchte, aber nicht verschmutzte Tortenkartons, Keksverpackungen aus Papier oder Papiertüten von der Bäckerei gehören ins Altpapier. Allerdings: Zerknüllte Papierservietten, gebrauchte Pappteller und -becher oder Tischtücher aus Papier gehören in den Restmüll. (Auch da wieder, letztens hatte ich in eine Serviette ein halbes Schwein erbrochen. Und natürlich die Papierserviette samt Schwein ins Altpapier geschmissen.) Verpackungen müssen ohne Reste in die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack gesteckt werden. Lebensmittelreste erschweren die Sortierung erheblich und können das Recycling verhindern. Allerdings: Ausspülen ist nicht nötig. (Und auch da bin ich so was von froh, dass die mich vom SCHAUFENSTER noch mal daran erinnern, dass ich da nicht immer literweise Trinkwasser verbrauche.) Platz sparen in der Gelben Tonne: Verpackungen nicht stapeln. Besser Kartons flachdrücken und dann in die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack entsorgen. (Auch toll, der Tipp, oder? Ich meine aber, sie hätten auch darauf hinweisen müssen, dass man Jogurtbecher ineinander und nicht nebeneinander in der Tonne anordnet.)

Was ich sagen will: Heute kannst du nach einem Kindergeburtstag einfach sagen: Uns liegt das Klima sehr am Herzen. Wir nehmen Mülltrennung so was von ernst. Mülltrennung und aber auch Gendern sind für uns so was von essentiell. Also bitte, wir müssen jetzt Glitzersterne abpiddeln, bevor wir das Geschenkpapier ins Altpapier schmeißen.

Warum werde ich den Verdacht nicht los, dass jetzt gerade, wo ich mit eigens dafür gekauften  Schuhen aus Recyclingstoff in meiner Gelben Tonne stehe, um noch einmal genau nachzuprüfen, ob ich auch alles richtig entsorgt habe. Warum werde ich den Verdacht nicht los, dass gerade die Menschen, an die sich der Artikel über Mülltrennung richtet, dass die den erst gar nicht lesen und weiter alles auf der Straße im Gehen unter sich fallen lassen?

Mittwoch, 21. Juni 2023

Das ist der Heiner

Er schüttelte die Flasche diesmal nicht, sondern schwenkte sie nur sachte wie ein Cognacglas, vielleicht weil ihm der Inhalt diesmal kostbarer erschien. Der Duft war himmlisch gut, dass ihm schlagartig das Wasser in die Augen trat. (Das Parfüm war herrlich.) Er zog den Rest des Duftes auf zwei Fläschchen, die er mit Etiketts versah, darauf schrieb er den Namen „Nuit Napolitaine“. (famos, dieser Roman!)

Was war ich froh, das Einladungskärtchen in Händen zu halten. Ich trug es so offensichtlich vor mir her, damit auch jeder sehen konnte, sie darf hier sein, sie ist willkommen. Wenn ich es mir aussuchen dürfte, ich würde einmal in der Woche durch diese Location schlendern. Und am allerliebsten so wie neulich: von hinten, beginnend am Eingang in der Friedrichstraße, durch den Torweg mit seinen stylischen Leuchtstäben. Innen alles sehr modern, klare Formen. Dann einige Stufen hinauf und ich stehe im Biedermeier oder Barock? Egal. Links und rechts dieses antike Mobiliar, die barocken Schränke. Ich kann mich nicht sattsehen: die Glasvitrinen, in denen sich eine Unzahl von Flakons präsentiert. Und das ist ja nur der Augenschmaus. Viel wichtiger noch der Rausch für die Nase. Diese unzähligen Düfte, die sich da vermischen, aber auch für sich allein wahrgenommen werden wollen. Der Haken an der Sache ist, ich kaufe dort nichts. Ich will nur gucken, nur staunen, riechen und nach oben schauen, hinauf zum Glasdach. Was war ich also froh über die Einladung der Parfümerie Becker in meinem Briefkasten.

Hier nun, am allerstinkendsten Ort des gesamten Königreiches wurde er geboren. Die Hitze quetschte den nach einer Mischung aus fauligen Melonen und verbranntem Horn riechenden Verwesungsbrodem in die benachbarten Gassen. Die Fische, angeblich erst am Morgen aus der Seine gefischt, stanken bereits so sehr, dass ihr Geruch den Leichengeruch überdeckte… Es war ihre fünfte Geburt. Alle vorhergehenden hatte sie hier an der Fischbude absolviert, und alle waren Totgeburten oder Halbtotgeburten gewesen, denn das blutige Fleisch, das da herauskam, unterschied sich nicht viel von dem Fischgekröse, das da schon lag, und lebte auch nicht viel mehr, und abends wurde alles mitsammen weggeschaufelt. (begnadet, dieser Süsskind!)

Du siehst, ich war auf alles gefasst. Seit vielen Jahrzehnten fahre ich an ihr vorbei, die Tore immer verschlossen. Nicht, dass es mich etwa gedrängt hätte, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Aber dann auch hier die Einladung - von Heiner. Keine Frage, dass ich da hingehe. So stand es in der Ankündigung: Wer wissen möchte, wie aus verschmutzter Brühe wieder sauberes Wasser wird, ist genau richtig beim Tag der offenen Tür in der Kläranlage Bonn. Die Stadt Bonn öffnet die Pforten ihrer größten von vier Kläranlagen am Salierweg. - Ich habe ja immer die rasenbepflanzten ich sag mal Pyramiden gesehen: So imposant wie die aussehen, so stinkt’s darinnen. Das sind die Faultürme: Dem Schlamm aus dem Klärprozess wird mit verschiedenen Techniken Wasser zur Volumenreduzierung entzogen, bevor er für 30 Tage bei 37 Grad in den Faulbehältern verschwindet. Möchte ich nicht dran riechen!

Wo ich gerade bei Gestank bin. So ein Besuch in der Kläranlage ist ja, was das eigene Blähverhalten anbelangt, eine tiefenentspannte Sache. Anders vor Jahren bei Staples, dem Laden für Büroartikel (gibt’s auch nicht mehr): Ich frage einen Verkäufer nach … egal. Wir beide stehen mitten auf der Verkaufsfläche, um uns herum nichts, keiner, kein Lebewesen, auf das ich es hätte schieben können. Ich lasse einen fahren. Sagt man doch so, oder? Ich schau grad mal: Ich habe noch furzen, pupsen, flatulieren und blähen gefunden. Das ist ja das eine: Ist der laut oder leise, der Furz? Das andere aber ist: Stinkt er oder stinkt er nicht? Und wenn er stinkt, was soll ich sagen. Mein Furz hat so infernalisch gestunken. Noch heute bewundere ich den jungen Verkäufer, der keine Miene verzog, und das Verkaufsgespräch eher noch in die Länge gezogen hat. So jedenfalls meine subjektive Einschätzung. Vielleicht, im Nachhinein, hat er sich auch einen Spaß daraus gemacht, mir nicht die Möglichkeit der Flucht zu geben.

Was ich aber eigentlich sagen möchte, wenn du in einer Kläranlage bist, vollkommen tiefenentspannt. Da kannst du einfach mal pupsen, ohne Angst zu haben, dass mit dem Finger auf dich gezeigt wird. Stell dir jetzt das mal im schmalen Gang in der Parfümerie Becker vor! Gut, wenn du Glück hast, kannst du die Flucht nach vorne antreten und ganz laut „Oh, hier stinkt’s aber“ rufen, damit klar ist, dass du es nicht warst. Diese Möglichkeit hatte ich bei Staples nicht.

Wo ich gerade dabei bin. Neulich wurde ja in London gekrönt und da hatte ich wieder denselben Gedanken, den ich immer habe, wenn ich am Fernseher die Hochzeiten der Adeligen verfolge. Weil, das ist ja schon auch eine Herausforderung, du musst ja als Gast, egal wie bedeutsam du bist, schon recht früh in der Kirche antanzen und deinen Platz einnehmen. Bis es dann endlich mal losgeht, das zieht sich. Und so eine Trauung zieht sich auch. Und am Ende, bis du da mal raus bist. Was machst du eigentlich, wenn du da mal aufs Klo musst? Was ja für den Charles recht praktisch war. Ich weiß, es geht bei der Salbung um etwas Höheres, Göttliches, wo der normal sterbliche Mensch nicht zugucken soll. Aber trotzdem, praktisch war es schon für den Charles. Weil in dem Alter, ich sage nur Prostata. Also ich kenne ganz viele alte Männer in meinem Umfeld, die gucken sich einen Spielfilm mindestens zweimal an, um den in Gänze gesehen zu haben. Da wurden doch dann um ihn, den Charles, herum diese Stellwände aufgestellt, und er soll für diese Prozedur nur ein Leibchen angehabt haben. Ich meine, da hätte er auch gleichzeitig …

Ach ja, ich vergaß, der Heiner, das Maskottchen der Kläranlage. Am Tag der offenen Tür habe ich den als Schlüsselanhänger mitnehmen dürfen. Es soll ein Geißeltierchen darstellen, das für die Klärung wichtig ist – das nur zur Er-Klärung. Was mich aber jetzt noch umtreibt, den habe ich doch tatsächlich nicht im Internet gefunden, den Heiner. Gibt es denn so was? Dass es etwas im Internet nicht gibt?

Donnerstag, 25. Mai 2023

Der Lars ist tot

Wo ich letztens beim Nacktsein war, da hieß es doch neulich in den Medien: Streit an Schule in Florida - Ist Michelangelos Statue pornografisch?  Ist der Anblick der "David"-Statue von Michelangelo Schulkindern zuzumuten? Ja, entschied die Leiterin einer Privatschule im US-Bundesstaat Florida. Nun ist sie nach Beschwerden von Eltern ihren Job los. "Seit dem 16. Jahrhundert wird das öffentlich ausgestellt", fragt eine TV-Moderatorin, "warum ist das plötzlich ein Problem?" Tatsächlich sieht Michelangelos "David" aus wie immer: Über fünf Meter groß ist die Statue, sehr schön und sehr nackt. Aber ist dieser Anblick elf- und zwölfjährigen Schulkindern zuzumuten? Die Leiterin einer christlichen Privatschule in Florida hatte ein Bild des "David" im Unterricht gezeigt. Eltern beschwerten sich, der Begriff "pornografisch" fiel, und nun ist sie ihren Job los. Das ist ihre Version der Geschichte. Der Vorsitzende des Schulrates, Barney Bishop, stellt es anders dar. Wann immer etwas Kontroverses unterrichtet werde, müssten die Eltern vorher informiert werden, sagte Bishop beim Sender CNN. Das sei aber nicht passiert. Und tatsächlich hätten sich drei Eltern beschwert, dass das Bild nicht altersgerecht sei. Die Tallahassee Classical School ist eine christlich ausgerichtete Privatschule in Florida. Leiterin Hope Carrasquilla war offenbar noch kein Jahr im Amt. Vorige Woche wurde sie dann vom Schulrat vor die Wahl gestellt, freiwillig zu gehen oder gefeuert zu werden. - Da sieht man doch wieder, wie wichtig es ist, dass Eltern sich bei derlei Gefahren für ihre Kinder engagieren. Und was ja auch diesen Eltern zupass kommt, dass es da in ganz Florida kein Internet gibt. Und keine Handys und keine Freunde, die ein Handy haben, auf denen man sich das ein oder andere verbotenerweise anschauen könnte, wenn es in den USA Internet gäbe.

Justamente zur selben Zeit hörten wir in den Medien aus den USA Folgendes: Grundschule in Nashville - Kinder erschossen: Eine bewaffnete Angreiferin hat an einer Grundschule in Nashville in den USA drei Kinder und drei Erwachsene erschossen. Die Kinder waren neun Jahre alt. Bei der Angreiferin soll es sich um eine 28-jährige Frau handeln, die in der Umgebung von Nashville wohnhaft ist und einst die private christliche Convenant School besucht hat. Sie soll mit zwei Sturmgewehren und einer Handfeuerwaffe bewaffnet gewesen sein. Die 28-Jährige besaß sieben legal erworbene Feuerwaffen und versteckte diese im Haus ihrer Eltern. Das Motiv für die Tat sei weiterhin unklar, sagte Polizeichef John Drake. Ihre Opfer in der Grundschule habe sie wohl zufällig ausgewählt.

Was für eine Katastrophe, die sich da abgespielt hat! Gott sei Dank aber an einer christlichen Privatschule. Gott sei Dank haben dort die Eltern ein Mitspracherecht. Können etwas bewirken. Was für eine Tragödie, man stelle sich vor, die armen Kinder hätten weiterhin den nackten David anschauen müssen! Wie ich immer sage, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wenn man tatsächlich etwas ändern will. Ach ja, und das andere: welch ein Unglück. Aber da kannst du ja nichts machen - gegen die Waffenlobby.

Wo ich vorhin bei dem jungen, nackten Mann war. Neulich bei mir total krasses Kontrastprogramm. Also jetzt nicht mehrere junge, nackte Männer. Nein, leider, viele alte Männer! Ich hätte es auch gerne anders vorgefunden, aber machste nix. Unfasslich, wie alt Menschen werden können, gerade auch Männer. Was aber das Tolle war. Alle waren vollständig angezogen, also nichts mit nackt. Und da bist du schon froh, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo du dir was überziehst, wenn du vor die Tür gehst. Also, alle Männer waren vollständig angezogen. Wobei ich jetzt natürlich nicht weiß, ob selbstständig angezogen, von der Gattin oder dem Pflegepersonal. Was aber toll war, wenn sich die alten Männer mal gepüngelt haben, also ausgehfertig sind, dann sind die so was von gesellig. Dann kannst du mit denen richtig Spaß haben. Gut, du musst ein bisschen lauter sprechen als sonst. Und langsamer sprechen ist vielleicht auch nicht verkehrt. Hatte ich eigentlich schon gesagt? Nein, hatte ich nicht. Ich habe noch gar nicht erzählt: Bis zum Dreißigsten haben wir uns alle zehn Jahre getroffen. Und dann alle fünf Jahre, weil ja jetzt doch schneller weggestorben wird. Genau, ich spreche vom Abitreffen: 45igjähriges Abitreffen. Da rechnen meine Schüler schon (also die ohne Zertifikat Dyskalkulie), ob so was überhaupt noch lebt. Ich kann nur sagen - und wie! Aber der Reihe nach: Weil mein Göttergatte und ich dieses Treffen organisieren, sind wir schon immer früher vor Ort, um zu schauen, ob die Location noch steht. Dann haben wir die Wartezeit auf dem Parkplatz davor im Auto sitzend verbracht. Was jetzt schon komisch war, im Laufe der folgenden Minuten parkten um uns herum Autos, aus denen so was von alte Menschen stiegen und sich in Richtung unseres Restaurants bewegten. Mensch, denke ich, gleich zwei Gruppen gleichzeitig. Die können sich wirklich nicht beklagen: Seniorenstift und Abitreffen. Du ahnst es schon, es waren alles unsere Ehemaligen. Aber weißt du, an mein eigenes altes Gesicht habe ich mich ja gewöhnt, aber wenn du so ganz ohne Vorwarnung.   

Die gemeinsamen Stunden waren so was von tiefenentspannt. Früher, du kennst die Werbung der Sparkasse von damals, 1995, noch: Treffen sich zwei Männer, der eine sagt: Mein Haus, mein Auto, mein Boot. Der andere hat natürlich ein noch größeres, und Pferde und viele Pferdepflegerinnen (nebenbei, könntest du dir heute als Sparkasse auch nicht mehr leisten - so was von sexistisch). Schau es dir trotzdem aber noch mal an. Es bringt die Sache auf den Punkt. In frühen Jahren war bei unseren Treffen Kinder und Beruf ein Thema (bei dem ein oder anderen natürlich nicht der Beruf, sondern die Karriere). Dann wurden es die Enkel. Und letztens gab es nur eine Frage: Wer ist schon in Rente? Mein Traummann und ich sind nicht bis zum Schluss geblieben. Aber es soll noch lange lustig zugegangen sein. Eine Rückmeldung: „Du, ich habe noch lange mit Lars gesprochen!“ Darauf ich: „Kann nicht sein, der ist schon lange tot.“

Ich vergaß die Frauen. Da gibt’s aber nichts wirklich Neues zu berichten: Tolle Frauen und die Zeit ist spurlos an ihnen vorbeigegangen.

Donnerstag, 27. April 2023

Bloß nicht nackich!

Neulich las es sich in den Medien folgendermaßen: Oben ohne ins Kölner Schwimmbad - Die Kölner Bäder erlauben Frauen ab April, "oben ohne" zu schwimmen. "Es geht künftig um die ausreichende Bedeckung der primären Geschlechtsmerkmale", so die Kölnbäder-Sprecherin Franziska Graalmann. Bislang müssen Frauen ihre Brust bedecken, wenn sie sich im Wasserbecken befinden. Oberkörperfreies Sonnen auf den Liegewiesen ist bereits erlaubt. Oben ohne baden in Köln gilt "bis auf Weiteres".

Grund sei die bundesweite Oben-ohne-Diskussion der vergangenen Jahre gewesen, sagt Sprecherin Graalmann. Unter anderem in Göttingen wurde eine Frau ohne Oberbekleidung eines Schwimmbads verwiesen. Daraufhin gab es Shitstorms im Internet, Klagen und Initiativen, die sich mit dem Thema beschäftigten. "Offenbar gibt es ein sich veränderndes gesellschaftliches Bewusstsein, dem wir hier Rechnung tragen." In Social-Media-Kommentaren wurden aber auch Stimmen laut, die sich gegen nackte Brüste in der Öffentlichkeit aussprachen. Unter anderem fürchten einige Männer die Blicke andere Männer auf die Brüste ihrer Frauen und Freundinnen, Eltern möchten ihre Kinder vor dem Anblick halb nackter Frauen bewahren und religiösen Muslimen ist die Bekleidung von Frauen wichtig. Einige, meist junge Frauen, haben die Sorge belästigt zu werden, sollten sie ihr Oberteil lüften.

In Köln will man sich erstmal anschauen, ob sich überhaupt so viele Frauen trauen, oben ohne baden zu gehen. Zumindest für den Anfang rechnet Graalmann damit, dass das Angebot nur vereinzelt angenommen wird. "Es lässt sich schlecht vorhersagen, allerdings deutet nichts darauf hin, dass jede Person, die heute mit einem Bikini zu uns kommt, ab April nur die Bikinihose tragen wird. Es ist auch weiterhin erlaubt, so in die Bäder zu kommen wie bisher. Dies umfasst eine große Bandbreite an angemessener Badebekleidung: Tankini, Badeanzug, Burkini und Bikini. Die Kölnerinnen, denen Gendergerechtigkeit wichtig ist, werden aller Voraussicht die neu gewonnene Freiheit nutzen. Fast ein Drittel der befragten Frauen einer Umfrage der Deutschen Presseagentur aus dem vergangenen Jahr lehnt "oben ohne" aber ab. 46 Prozent der Männer finden es dagegen gut, wenn Frauen selbst entscheiden können, ob sie mit oder ohne Bikinioberteil baden gehen möchten.

In den vier Hallenbädern und vier Freibädern der Sportwelt Dortmund gab es noch nie ein Verhüllungsgebot für sekundäre Geschlechtsteile wie Brüste. Noch vor 20 Jahren hätten dort rund ein Drittel aller weiblichen Badbesucher ihre Brüste gezeigt, so ein Sprecher von Sportwelt Dortmund. Das habe mit der Zeit aber deutlich abgenommen. Mittlerweile zeigten sich auf den Liegen oder im Wasser nur noch vereinzelt Frauen ohne Bikinioberteil. Ein Grund dafür könnte sein, dass es nicht selten vorkäme, dass Frauen unter Wasser von Männern belästigt und sogar berührt würden. Am Ende entscheidet die Hausordnung eines Schwimmbads darüber, was man ausziehen darf. Viele Badeordnungen schreiben vor, dass Gäste sittsam oder angemessen gekleidet sein sollen. Was das konkret bedeutet, entscheidet das Personal. Manchmal wird das Sonnen oben ohne toleriert, selten das Schwimmen - oft keins von beiden.

In städtischen Bädern machen Kommunen die Regeln, sind die Bäder in privater Hand, entscheiden die Betreiber. Das heißt also: In jeder Stadt und in jedem Bad gelten andere Regeln. In der vergangenen Woche hatten auch die Berliner Bäderbetriebe klargestellt, dass das Schwimmen "oben ohne" für alle Personen gleichermaßen erlaubt sei. Die Aktivistin Lotte Mies, die in einem Schwimmbad in Berlin im Dezember wegen ihrer Oberkörperfreiheit rausgeworfen wurde, hatte sich in der Initiative „Gleiche Brust für alle“ engagiert und so erfolgreich für das Oben-ohne-Baden in Berlin eingesetzt. Die 33-Jährige erhält laut aktuellen Medienberichten Drohungen von Frauen und von Männern. Dennoch plane sie, sich weiter für die Rechte von Frauen einzusetzen. "Wenn es wärmer wird, wollen wir Aktionen wie etwa Picknicks und Wanderausflüge oben ohne starten", sagte Mies.

Da siehst du mal, wie alt ich bin. Als ich mit Anfang zwanzig ins Römerbad ging, war dieses Thema überhaupt keine Zeile in der Presse wert. Und auch ich habe null Gedanken darauf  verschwendet: Ich habe mich ganz tumb, ohne nachzudenken, auf meiner Decke oben ohne gesonnt. Und wenn ich ins Wasser gegangen bin, habe ich mein Bikini-Oberteil angezogen, auch ohne nachzudenken. Über die Jahre hinweg habe ich allerdings immer weniger Frauen gesehen, die sich oben ohne sonnten. Und zuletzt keine einzige! Wo ich jetzt aber erfahre, dass jedes Bad seine eigene Hausordnung hat, und jetzt vieles neu definiert wird. Und wo es jetzt heißt, dass Eltern ihre Kinder vor dem Anblick halb nackter Frauen bewahren wollen. Also da möchte ich mich bitteschön auch ein Stück weit einbringen: Auch ich möchte vor dem Anblick des ein oder anderen Figürchen verschont werden!

Ich fordere daher ein Oben-ohne-Verbot für Männer ab Körbchengröße D!

Wo wir gerade im Freibad sind. Da hats die Sawatzky aber so was von wieder rausgerissen. Die hatte ja in „Sterben ist auch keine Lösung“ die Hauptrolle gespielt. Und da hieß es in meiner Fernsehzeitung zu Recht: In Ingo Raspers Tragikomödie liefern sich die komödienerprobten Walter Sittler und Andrea Sawatzki spritzige Wortgefechte. Wie die Sache enden wird, ist zwar von vornherein klar, aber der Weg dorthin ist durchaus witzig und charmant. Die Schlusspointe wirkt trotz der nicht enden wollenden Jugendlichkeit der Hauptdarstellerin aber etwas zu dick aufgetragen. Und, ja, das stimmt – so was von! Liebe Andrea, in dem Alter filmisch noch schwanger werden, das passt einfach nicht! Es wirkt so was von lächerlich.

Aber, wie gesagt, dann hat sie es ja rausgerissen. Mit ihrer Rolle in dem Spielfilm „Freibad“. Da treffen in einem Frauenfreibad in Deutschland verschiedene Kulturen, Religionen und Dresscodes aufeinander und die Lage gerät zunehmend außer Kontrolle. Die Andrea spielt eine in die Jahre gekommene Schlagersängerin, die als Feministin unter Befreiung der Frau vor allem versteht, sich nicht zu verhüllen. Und auf der anderen Seite hast du die Fraktion der Ganzkörperverhüllten, und, klar, das gesamte Spektrum dazwischen. Ich fand den Film witzig, obwohl die Kritik lautet, der Film setze leider auf allzu viel Klischee in den unterschiedlichen Bereichen und bisweilen auf einen Stammtischhumor. Ich fand ihn gerade deshalb toll. Und vor allem fand ich Andrea Sawatzky so unglaublich toll.

Donnerstag, 6. April 2023

Bildung mit der blonden Babsi



Ich habe mir gerade einmal in meinem SCHAUFENSTER den Veranstaltungskalender  des UKB-Patientenkolloquiums 2023 angeschaut. Da gibt’s zum Beispiel im April eine Veranstaltung zum Thema "Sterbewunsch und assistierter Suizid - wo stehen wir?". Oder auch nett im September "Wie schützen und behandeln wir die verletzliche Hauptschlagader des Lebens?", "Zeitbomben oder Blindgänger - Carotisstenosen, Kavernome, Aneurysmen, Angiome oder andere Gefäßveränderungen im Kopf“ - auch ein Vortrag und "Mundschleimhautveränderungen - immer harmlos?".

Ich merke gerade, ich bin so was von, ich fühle mich so was von krank, überall zwickt es. Während ich die Themen gelesen habe, diese innere Unruhe, die sich da in mir ausgebreitet hat. Ich bräuchte jetzt dringend einen Vortrag über "Psychosomatik und Angstzustände". Von Kopf bis Fuß tut mir alles weh. Du kriegst es ja mit der Angst zu tun, wenn du die Lettern "immer harmlos?" oder "Zeitbomben" liest. Dabei hatte ich mich so was von gefreut, dass ich alte Frau zumindest einmal im Monat einen festen Termin habe, wo ich mich nach draußen aufmachen muss. Die einzige Veranstaltung, die ich mir jetzt noch zutraue, ist der Vortrag mit dem Titel "Kinderbeine - zu kurz, zu lang, zu krumm". Weil, mich betriffts nicht mehr und meine Töchter haben sich längst an ihre entstellten Beine gewöhnt. Aber natürlich frage ich mich, was da heutzutage alles möglich ist, wenn dir die Beinstellung deines Kindes nicht in den Kram passt. Früher hast du das genommen, was du bekamst.

Apropos früher, da hattest du vielleicht X-Beine. Und konntest womöglich zusätzlich nur mühsam addieren, noch schlechter subtrahieren, und das kleine Einmaleins war unerreichbar für dich. Da hat dann deine Mama mit dir ganz viel geübt, viel Zeit investiert, damit auch du es einigermaßen gebacken bekamst. Oder du standest in Mathe eben fünf. Heute gibt es die Diagnose Dyskalkulie und schwupp gibt es lerntherapeutische Unterstützung, um - wie es heißt - Mathematik neu zu erlernen. Oder Rechtschreibung: Da musstest du früher das Diktat eben nochmal üben, wenn sich da viele Fehler eingeschlichen hatten. Heute hast du die Diagnose Lese-Rechtschreib-Schwäche und schwupp wird das Thema auf eine Stunde pro Woche eingedampft. Ich hatte einmal einen Schüler, der erzählte mir sofort zu Beginn, er habe LRS. Ich darauf: "Oh, das tut mir aber leid. Da musst du ja mehr üben und arbeiten als deine Mitschüler." Darauf schaute er mich mit einem Blick an, der übersetzt sagte: "Du blöde Frau, verstehst du nicht, ich habe LRS, ich habe Zertifikat."

Aber klar, auch ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt: Hauptsache Diagnose. (Was, nebenbei, ja auch vielen Therapeuten auf diesem Planeten so was von ihr regelmäßiges Einkommen sichert.) Neulich las ich in der BARBARA, dass Katzenvideos hilfreich beim Prokrastinieren sind. Willst du noch nicht mal im Ansatz wissen, was ich da für Bilder im Kopf hatte. Auf jeden Fall nur Schweinereien. Mein Traummann wusste natürlich, um was es geht, nur ich nicht. Ich habe dann nochmal genau den Satz in der BARBARA gelesen. Und da hieß es: Wer sich Katzenvideos zum Prokrastinieren - und nicht beim Prokrastinieren -  anschaut, muss kein schlechtes Gewissen wegen unerledigter Arbeit haben. Im Gegenteil: Cat-Content minimiert Stress und macht uns fröhlicher. Und es wird sogar noch besser: Studienteilnehmer, die Bilder von niedlichen Katzenbabys und Hundewelpen betrachtet hatten, erledigten Aufgaben, die konzentrierte Aufmerksamkeit erfordern, hinterher sorgfältiger. Kann im Job ja nicht schaden. Wo ich gerade dabei war, fiel mir doch zufälligerweise wieder ein alter Artikel aus meinem SCHAUFENSTER in die Hände: Gemeinsam gegen "Aufschieberitis". (Darf das heutzutage überhaupt noch so genannt werden?) Gemeinsam gegen die "Angst vorm leeren Blatt". In der langen Nacht des Schreibens können Studierende  in der  Universitätsbibliothek konzentriert an ihren Schreibprojekten arbeiten. Die Bonner Lange Nacht des Schreibens findet statt im Rahmen des bundesweiten Events "Die Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten". Hallo, ist das so heute noch zulässig, solch ein Aufruf? Weil, müssen wir nicht erst einmal diagnostizieren, und da geht ja auch schon wieder die ein oder andere Sitzung beim Therapeuten ins Land. Muss nicht erst einmal in langwierigen Sitzungen geklärt werden: Bist du einfach nur stinkefaul oder kriegst du Zertifikat? Sprich, bist du am prokrastinieren am dran am tun? Ja, ich habe mich dann kundig gemacht, im Internet: Prokrastination ist die wissenschaftliche Bezeichnung für pathologisches Aufschiebeverhalten. Prokrastination ist eine ernstzunehmende Arbeitsstörung und kann sowohl private Alltagsaktivitäten als auch schulische, akademische und berufliche Tätigkeiten betreffen. Und da bin ich jetzt mal ehrlich, da bin ich raus. Muss man denn aus jedem Scheiß ein Krankheitsbild machen? Aber, wie ich schon sagte, ein Gutes hat es: Die Arbeitsplätze vieler, vieler Therapeuten sind gesichert. Weil, stell dir mal vor, die stünden jetzt auch noch alle auf der Straße.

Wo ich gerade bei den Therapeuten bin. Da tauchte neulich in den Medien die Frage auf, ob die ambulante Versorgung von psychisch schwer kranken Menschen zusammengebrochen sei. Es hieß, Psychotherapeuten behandelten bevorzugt leichte Störungen wie “Burnout”, während wirklich akut Bedürftige, wie zum Beispiel schwer depressive Menschen, zu lange warten müssten. Und es gebe Berichte, Karl Lauterbach habe die Behauptung aufgestellt, dass in der ambulanten Psychotherapie vor allem „leichte Fälle“ versorgt würden. Diese Behauptung wurde von der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) als eine „Unterstellung“ bezeichnet, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehre. Ich bin ehrlich, wenn ichs mir aussuchen könnte. Also dass ich da jetzt jeden Abend aus meiner psychotherapeutischen Praxis nach Hause gehe und hoffe, dass sich mein Patient nicht morgen vor den Zug schmeißt. Da schlaf ich aber eindeutig besser, wenn ich es mit jemandem zu tun habe, wie dem Ödön. Wenn der Ödön von Horváth jetzt in meine Praxis kommt und mir von seinem Wehwehchen erzählt, was da wäre (ich zitiere): "Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu." Hallo, da nehme ich doch lieber den.