Dort, ganz hinten, am Ende der Passage leuchtet ein großer, wunderschön
dekorierter, elegant geschmückter Weihnachtsbaum, zieht mich in seinen Bann,
lockt mich. Und so betrete ich die Passage: Rechts am Eingang der Passage seit
eh und je das edle Schmuckgeschäft, weiter auf der linken Seite ein teurer
Kinderschuhladen. Und sonst? Über mir edle Lüster, laufe auf edlen Böden vorbei
an riesigen Schaufenstern - von leeren Ladenlokalen. Und damit die Leere nicht
so unendlich leer wirkt, im Schaufenster zwei riesige Plüschaffen in Bewegung,
Weihnachtssterne bastelnd! Gehe weiter auf den festlich geschmückten Baum zu. Dort,
beim Weihnachtsbaum, ist auch die Mitte der Passage. Gleite in einem gläsernen
Aufzug nach unten. Vorbei an freigelegten Ausgrabungen. Wunderschön,
geschmackvoll, mit Liebe zum Detail. Hier war ich noch nie! Und mit mir waren wohl
die meisten Menschen hier noch nie! Bin ganz allein. Schwebe wieder dieselben
wenigen Meter nach oben und stehe vor einem weiteren funkelnden Weihnachtsbaum
- neben dem Bistro ENTE. Geschlossen ist es, leer! Und über dem Eingang noch
immer die Speisekarte bis in alle Ewigkeit mit Lackstift fixiert und gegenüber
das Ladenlokal - leer! Und damit die Leere nicht so gespenstisch leer wirkt, im
Schaufenster ein riesiger Plüschaffe und ein Hase, der die Weihnachtsdekoration
zusammenkehrt, weil's ja jetzt mit schnellen Schritten auf Ostern zugeht.
Spüre plötzlich eine tiefe Trauer in mir. Und sehe das
Spiegelbild einer Frau im Schaufensterglas. Sie weint. Weint um die Zeit, in
Gedanken an die Kaiserpassage, wie sie einmal war. Bei Weitem nicht so
prunkvoll, aber voller Menschen. Steht da in der Passage, die sich
herausgeputzt hat, aber für wen? Und dann geht sie, die Frau, links hochwertige
Damenoberbekleidung, rechts exquisite Hemden und Krawatten, daneben feine
Negligees. Könnte jetzt eine Treppe hinauf nehmen, zur Galerie, einer weiteren
Ladenzeile. Doch wozu? Alles leer! Negligee - neglegere - nicht beachten. Könnte
auch jetzt wieder mit dem Aufzug nach unten zum Ausgang gleiten. Doch sie will
nur noch raus, nimmt die Treppe, zwei Stufen auf einmal, will nur noch raus,
aus der Kaiserpassage.
Hätte der Weihnachtsbaum sie doch nur nicht in die
Kaiserpassage gelockt!
Ich bin so was von durch, mit Weihnachtsbäumen! Und, klar,
dass ich da jetzt auch für anfällig war! Weil, ich hatte in meinem SCHAUFENSTER
den Artikel "Zeckengefahr im Weihnachtsbaum" gelesen. Da hieß es: Es
ist Winter, die Zeckenzeit liegt in weiter Ferne und
Frühsommer-Meningoenzephalitis ist sowieso erst ein Thema, wenn es wieder warm
wird. Oder? Hallo, dieses Oder! Da les ich doch weiter, oder? Die Plätzchen seien
gebacken, das Haus sei geschmückt - fehle nur noch der Christbaum für das
perfekte Weihnachtsfest. Damit aber unter dem Baum neben den Geschenken nicht
auch Krabbeltiere Platz fänden, gelte es, ein paar Hinweise zu beachten. Denn
laut einer aktuellen Gartenstudie der Universität Hohenheim sind Zecken
zunehmend das ganze Jahr aktiv. Dies liegt daran, dass die Spinnentiere bei
Temperaturen ab sieben Grad Celsius an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen aus
der Winterstarre erwachen - unabhängig von der Jahreszeit. Zecken mögen es warm
und feucht, im Winter lauern sie meist unter einer dicken Laubschicht. An
milden Tagen kann es aber vorkommen, dass sich das ein oder andere Exemplar auf
die Suche nach einer Blutmahlzeit macht. Wer sich also vorgenommen hat, einen
Weihnachtsbaum zu kaufen, sollte auf Zecken achtgeben. Sie klettern auf
liegende Bäume genauso wie auf stehende in Höhen bis zu 1,50 Meter und lassen
sich von dort abstreifen. Die Zecke gelte als gefährlichstes Tier Deutschlands.
Grund genug, die Zecken im Weihnachtsbaum zu entfernen, bevor etwas passieren
kann. Dazu sei es am besten, den Baum einige Tage im Keller oder in der Garage
zu lagern, bevor der Baum in die Wohnung getragen wird. Die Zecken fallen dann
aus ihrer Winterstarre und krabbeln fort. Außerdem sollte der Baum einmal
geschüttelt werden, um eventuelle Zecken vom Baum zu vertreiben. Im Winter
erschweren wir Menschen den Zecken bereits durch lange Kleidung den Zugang zu
unserer Haut. Trotzdem sollte nicht vergessen werden, sich nach dem Schmücken
des Weihnachtsbaumes nach Zecken abzusuchen.
So las es sich in meinem SCHAUFENSTER! Ich hab da
selbstredend sofort Rot gesehen! Und das, ohne an einer Ampel zu stehen! Da
half es auch so was von gar nicht, dass ich bewusst meinen Baum bei OBI gekauft
hatte. Hatten die doch in ihrer Anzeige in meinem SCHAUFENSTER geschrieben "Wenn
man sich auf OBI verlässt, wird Weihnachten zur Zeit der Besinnung auf
Harmonie, den Frieden und die Familie". Als ich diese Zeilen las, dachte
ich, Mensch, so einfach, wenn das sich mal rumsprechen würde!
Ich persönlich hatte jetzt nicht wirklich die Harmonie in
der Familie am Start. Gut, ich kann meine Lieben jetzt auch irgendwie verstehen.
Weil, ich hab dann erst einmal einen Schüttelplan aufgestellt. So wie ich es
auf Toiletten in Restaurants kenne. Da kannst du dann, während du Pipi machst,
genau sehen, wer wann zuletzt das Klo gesäubert hat. Und genau so hatte ich mir
das mit dem Schüttelplan gedacht. Dort stand jede volle Stunde der Name einer
meiner Liebsten drauf, der in die Garage zu gehen und den Baum zu schütteln
hatte. Ich geb' zu, bei der Einteilung für Nachtschichten gab's dann schon den
ein oder anderen Familienstreit. Na ja, und als dann das ein oder andere Mal
nicht abgezeichnet worden war, hab ich eben Nägel mit Köpfen gemacht. Ich mein,
hallo, wenn haufenweise Blutsauger lauern? Ich hab's dann konsequent durchgezogen:
Der Baum ist erst gar nicht ins Wohnzimmer gekommen, wurde nicht geschmückt und
an Heiligabend standen meine Liebsten und ich für ein paar Sekunden - selbstredend
ganzkörpervermummt - um selbigen herum. Ich vermute mal, dass das der Grund
war, warum mich der geschmückte Weihnachtsbaum in der Kaiserpassage in seinen
Bann gezogen hat!