Mittwoch, 25. April 2018

Durchgang oder Durchblick?


"Bonn weiter auf Rekordkurs", so las es sich in meinem SCHAUFENSTER: Die Region Bonn erzielte im vergangenen Jahr zum achten Mal in Folge einen Übernachtungsrekord seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1986. Die Stadt Bonn verzeichnete 2017 einen Anstieg auf knapp 1,6 Millionen Übernachtungen, ebenfalls zugelegt hat der Rhein-Sieg-Kreis mit über 1,3 Millionen Übernachtungen. Gemeinsam verzeichneten Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis 79.476 Übernachtungen mehr als im Vorjahreszeitraum. Das ist ein Plus von 2,7 Prozent gegenüber 2016.
Wenn ich ehrlich bin, ich weiß gar nicht, warum so viele Menschen nach Bonn kommen, was die sich hier anschauen wollen. Weil, die Gurlitt-Ausstellung in der Bundeskunsthalle ist ja vorbei und das Bonner Münster geschlossen. Gut, vielleicht wollen die gucken, ob wir es nun endlich geschafft haben, dass es ins Haus der Geschichte nicht von oben reinregnet.
Allein schon das Ankommen am Bonner Bahnhof - schön ist anders. Du landest mitten in einer Baustelle und weil Gleis 1 fehlt, ist es notgedrungenermaßen kuschelig eng. Und dann schreitest du zwischen meterhohen Bauzäunen. Also, da bist du echt froh, wenn du da durch bist. Wenn du es als Tourist dann geschafft hast, das Bahnhofsgelände hinter dir zu lassen, kann ich persönlich dir nur die Oase der Ruhe, der Stille empfehlen. Directement ums Eck, und so was von ein Geheimtipp. Das ist so was von ein Geheimtipp, dass da kein Schwein ist - in der Kaiserpassage: die Kaiserpassage, die Oase des Scheiterns. Da stehen so viele Ladenlokale leer. Es bricht mir jedes Mal das Herz. Apropos Oase des Scheiterns. Wer "Das Institut – Oase des Scheiterns" noch nicht gesehen hat, selbst schuld! Das ist eine deutsche Sitcom über die Arbeit eines deutschen Kulturinstituts im zentralasiatischen Phantasiestaat Kisbekistan. Weitgehend am Interesse der Einheimischen vorbei versuchen dort die sechs Mitarbeiter, mit Sprachkursen und Veranstaltungen ein positives Deutschlandbild zu vermitteln. Ich habe selten so politisch unkorrekt gelacht!

Apropos Passage. Es kann natürlich sein, dass die alle zuhauf  hier nach Bonn wegen der Welckerpassage strömen. Dieser Durchgang von der Karl-Carstens-Straße/Welckerstraße durch das WorldCCBonn-Ensemble hindurch zum Platz der Vereinten Nationen ist mit einer 624 Quadratmeter großen Unterhangdecke versehen worden. Und da hieß es in meinem SCHAUFENSTER, der Rat der Stadt Bonn habe diesen baulichen Abschluss in erster Linie mit optischen Aspekten begründet, da der UN Campus mit seinen jährlich vielen Tausend Tagungsgästen, Spaziergängern und Touristen ein städtebaulich exponierter Bereich sei, der erhöhte architektonische Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild dieses Ortes stelle. Das unter der Decke angebrachte und bisher unverhüllt sichtbare Lüftungssystem mit seinen zahlreichen großformatigen Rohren sei mit einem feinmaschigen Stahlnetz versehen worden. Die geschwungene Form des Netzes sei den unterschiedlichen Höhenlagen der Lüftungstechnik des Konferenzzentrums angepasst. Ein positiver Nebeneffekt sei der mit dem engmaschigen Stahlnetz verbundene Taubenschutz, der verhindere, dass die Vögel rund um das Lüftungssystem Unterschlupf finden, dort nisten, es dabei beschädigen und die Passage verschmutzen. Zusätzlich habe man an der Unterhangdecke ein besonderes optisches Merkmal mit Hilfe von 2.640 LED-Dots installiert. Die Lichtpunkte werden über eine spezielle Software gesteuert, mit deren Hilfe unterschiedliche - auch farbige - Lichtszenarien programmiert werden können.

Was aber ja auch noch an dieser Passage bemerkenswert ist, und da kann ich nur sagen, wenn man's weiß. Weil, als mein Traummann und ich da so unbedarft durchgegangen sind. Wäre ich mal besser erst in die Passage gegangen, nachdem mich mein SCHAUFENSTER aufgeklärt hat. Da hieß es nämlich unter den Lettern "Nachrichtenkanal, Stadt-Klangkunst in der Welckerpassage": Wer Ohren hat, zu hören, dem sei in diesen Tagen besonders die Welckerpassage empfohlen. Die Stadtklangkünstlerin Maria Urstad hat aus dem Fußgängertunnel eine interessante, sprechende Erlebnisumgebung gemacht. Mit ihrer Raum-Ton-Installation wolle sie die Radio-Atmosphäre einfangen. Sie habe im Tonarchiv der Deutschen Welle etliche Beispiele gehört, die die Geschichte des Hörfunks erzählen. Außerdem sei es für sie interessant gewesen, ausgerechnet in Deutschland die Deutsche Welle erlebbar zu machen. Die ist ansonsten bekanntlich ja ausschließlich im Ausland zu hören. Also tönen Wortfetzen von links und rechts und auch von der Decke. Nachrichtenreste in 31 Sprachen aus 31 Lautsprechern. Dazu ein originalgetreues Knistern und Rauschen wie beim guten alten Analogradio üblich. Ein Stück Zeitgeschichte. Ein Kosmos aus Geräuschen, ein Weltall aus Wörtern. "Ich habe versucht, einen eigenen Zugang zu dieser mir fremden Welt zu finden", sagt Maria. "Die verschiedenen Stücke schaffen eine eigene Wirklichkeit, eine Präsenz von Rundfunk. Sie zeigen außerdem die Veränderung in der Welt der Medien. Und zugleich ihre Fremdheit, ihre Anonymität." Es ist dieser "mix by passing", wie Maria es ausdrückt, die die gesamte Installation interessant und unverwechselbar macht. Im Stundenabstand erfolgt ein Neustart der Tonsequenz. Und von oben gibt es eine Morgen-, eine Mittags- und eine Abendstimmung. Die Abendstimmung, lächelt Maria, "is darker", was in diesem Zusammenhang geheimnisvoller, vielleicht auch unheimlicher heißt. Das Ganze ist zu hören bis Silvester 2018. Und es ist, darauf lege die Klangkünstlerin Wert, "es ist ein Kunstwerk, keine Dokumentation."   
Wieder so ein Artikel meines SCHAUFENSTERS, wo ich keinen Satz kürzen wollte. Weil ich dachte, je mehr man's mir erklärt, desto besser gefällt's mir, das Kunstwerk. Aber leider, es fehlt mir der Zugang. Wahrscheinlich werde ich einfach mal 24 Stunden im Schlafsack im zugigen Durchgang verbringen. Immerhin, Tauben werden ja wohl nicht auf mich kacken. Ich hab ja noch bis zum 31. Dezember Zeit.