Mittwoch, 26. September 2018

Was hält das Grüne Heupferd von einer Becherlupe?


Damit das mal klar ist, der nächste Bürgerentscheid, da bin ich raus. Dafür bin ich dann nicht verantwortlich. Ich hab nämlich, kaum lagen die Unterlagen in meinem Briefkasten, sofort das Projekt gesattelt. Okay, ich gebe zu, mit Netz und doppeltem Boden, also mit dem „Merkblatt für die Durchführung des Bürgerentscheides“ und meinem Göttergatten. Ich habe ihn allerdings nicht gucken lassen, wo ich das Kreuzchen gemacht habe. Ich bin einfach ins Gästeklo, das etwa die Ausmaße einer Wahlkabine hat. Und dann sofort, immer noch ganz euphorisch, ab damit in den Briefkasten „Auerberger Mitte“, so gegen 12:30 Uhr an einem Samstag. Und dann kamen, hat ja jeder schon mal erlebt: Direkt nach der Unterschrift auf dem Standesamt, ob es denn tatsächlich die richtige Entscheidung war. Oder wenn du unter Aufsicht des Notars die Unterschrift für den Kauf eines Resorts auf Mallorca getätigt hast. Kennt jeder, diese Zweifel, ob die Entscheidung richtig war.

Und so ging es mir jetzt auch. Hatte ich mich richtig entschieden, würde ich mit meiner Entscheidung auf Dauer ruhigen Gewissens leben können? Eine tiefe Sinnkrise eben. Ich bin dann, weil  ich emotional so was von im Loch stand, noch mal zum Briefkasten. Und, was das Tolle am Briefkasten „Auerberger Mitte“ ist, der wird nur einmal am Tag geleert: samstags um 10:00, werktags um 16:00 Uhr und sonntags sogar gar nicht. Was fiel mir da ein Stein vom Herzen, als  ich die Leerzeiten studierte! Weil, ich habe natürlich mit dem Gedanken gespielt, den Brief rauszufischen - und das dann auch gemacht.

Und siehe da, kaum hielt ich ihn in Händen, so was von tiefenentspannt. Und weil ich ja jetzt wusste, dass ich bis Montag 16:00 Uhr Selbigen immer wieder, was soll ich sagen. Die Temperaturen, das muss ich keinem erzählen, so was von warm war es ja diesen Sommer. Ich hab’s mir einfach richtig gemütlich gemacht, neben dem Briefkasten. Mal etwas ganz anderes. Normalerweise schaue ich ja stündlich in meinen Briefkasten, ob denn neue Werbeblättchen eingetroffen sind. Und jetzt, ein vollkommen neues Briefkastenabenteuer. Allein die Möglichkeit, jederzeit den Brief wieder rausfischen zu können, total beruhigend.

Und davon mal ganz abgesehen hatte ich outdoor ja sowieso volles Programm. Hatte es doch in meinem SCHAUFENSTER unter den Lettern „Was krabbelt und flattert denn da?“ geheißen: Zähl mal, was da krabbelt und flattert. Der NABU startet sein neues Citizen-Science-Projekt „Insektensommer“. Es ist die erste bundesweite Insektenzählung in Deutschland. Naturfans sind dazu aufgerufen, in ihrer Umgebung Insekten zu beobachten und unter www.insektensommer.de zu melden. Ich bin dann auf diese Seite gegangen - so was von mit Informationen gespickt. Da hieß es unter „Welche Insekten kann ich melden?“: Grundsätzlich soll und kann jedes gesehene und erkannte Insekt gemeldet werden. Die Insektenwelt ist allerdings enorm vielfältig. Es gibt daher pro Meldezeitraum acht „Kernarten“, nach denen die Teilnehmer möglichst auf jeden Fall schauen sollten. Diese Arten kommen (noch) häufig vor und sind vergleichsweise leicht zu erkennen. Zunächst sind es Tagpfauenauge, Admiral, Asiatischer Marienkäfer, Hainschwebfliege, Steinhummel, Lederwanze, Blutzikade und Gemeine Florfliege, und dann sind es Schwalbenschwanz, Kleiner Fuchs, Ackerhummel, Blaue Holzbiene, Siebenpunkt-Marienkäfer, Streifenwanze, Blaugrüne Mosaiklibelle und Grünes Heupferd.

Bis ich erst mal raushatte, wie die alle aussehen. Tage vor dem Computer hat’s gedauert. Und dann fügte sich aber eins ins andre, dass ich da zwei Tage unter freiem Himmel neben dem Briefkasten campiert habe: immer nah an meinem  Brief, nach Tagen Computerrecherche endlich an der frischen Luft und die Insektenregistrierung. Was sich auch noch nett gefügt hat, auf der Seite vom NABU hieß es: Nehmen Sie ruhig eine Lupe zur Hand und gehen Sie auf Erkundungstour, so sind die kleinen Krabbeltiere einfacher zu entdecken. Ein kleiner Tipp: Auch Becherlupen sind gut geeignet. Wichtig ist nur, dass Sie nach der Bestimmung die Insekten wieder unversehrt in die Freiheit entlassen – bitte an dem Ort, wo Sie das Tier auch gefunden haben. Und, was soll ich sagen, aus Kindertagen meiner Brut befand sich im Haus noch eine Becherlupe und die kam so was von zum Einsatz, die Becherlupe! Die Zeit verging bei all dem Fliegen so was von im Fluge.

Fast hätte ich mein zweites Projekt aus den Augen oder besser aus den Ohren verloren. Lauteten doch die Lettern in meinem SCHAUFENSTER „Akio Suzuki lehrt Bonn, wieder hinzuhören. Klangkunstinstallation, ein Rundgang mit Akio Suzuki.“ Und da war ich natürlich sofort hellhörig geworden. Weil, die Raum-Ton-Installation in der Welckerpassage war ja für mich jetzt ein persönliches Fiasko. Sollte sich da mir eine neue Chance bieten, doch noch einen Zugang zu Klangkunstinstallationen zu bekommen?
Er mache auf Klänge aufmerksam, hieß es weiter. Stelle sich auf den Bürgersteig an der Alexanderstraße und lege die Hände an die Ohren. „Lauscht“, wolle er sagen, „hört auf die Geräusche der Stadt.“ Und weiter hieß es: Während der Straßenverkehr die Ohren umtost, steht Akio Suzuki da und hört einfach nur zu. Die Zuschauergruppe, die ihn auf dem Weg durch seine Installation „oto-date bonn“ folgt, muss erst lernen, zuzuhören. Akio ist der aktuelle Stadtklangkünstler Bonns. „oto-date“ heißt Klangpunkt und kennzeichnet insgesamt 16 Punkte auf einer Nord- und einer Südroute durch die Stadt. An einigen Stellen hat er die Punkte gekennzeichnet, an denen es sich zu lauschen lohnt. „Lernt wieder zu hören“, wolle er sagen, der Klangkünstler.
Weil ich das mit der Klangkunstinstallation von der Frau Maria Urstad ja einfach, man muss es wohl so sagen, einfach zu lasch angegangen bin, hab ich mich in den zwei Tagen und zwei Nächten, in denen ich neben dem Briefkasten „Auerberger Mitte“ auf meiner Thermomatte gelebt habe, jetzt aber so was von angestrengt, so was von hoch motiviert war ich! Erst einmal, und da konnte ich wieder mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erst einmal machen ja die Insekten einen Heidenlärm. Und dann die Linie 61 - ist das schön, wenn sie regelmäßig, wenn sie pünktlich kommt.