Damit das mal klar ist, der nächste Bürgerentscheid, da
bin ich raus. Dafür bin ich dann nicht verantwortlich. Ich hab nämlich, kaum
lagen die Unterlagen in meinem Briefkasten, sofort das Projekt gesattelt. Okay,
ich gebe zu, mit Netz und doppeltem Boden, also mit dem „Merkblatt für die
Durchführung des Bürgerentscheides“ und meinem Göttergatten. Ich habe ihn
allerdings nicht gucken lassen, wo ich das Kreuzchen gemacht habe. Ich bin
einfach ins Gästeklo, das etwa die Ausmaße einer Wahlkabine hat. Und dann
sofort, immer noch ganz euphorisch, ab damit in den Briefkasten „Auerberger
Mitte“, so gegen 12:30 Uhr an einem Samstag. Und dann kamen, hat ja jeder schon
mal erlebt: Direkt nach der Unterschrift auf dem Standesamt, ob es denn
tatsächlich die richtige Entscheidung war. Oder wenn du unter Aufsicht des
Notars die Unterschrift für den Kauf eines Resorts auf Mallorca getätigt hast.
Kennt jeder, diese Zweifel, ob die Entscheidung richtig war.
Und so ging es mir jetzt auch. Hatte ich mich richtig
entschieden, würde ich mit meiner Entscheidung auf Dauer ruhigen Gewissens
leben können? Eine tiefe Sinnkrise eben. Ich bin dann, weil ich emotional so was von im Loch stand, noch
mal zum Briefkasten. Und, was das Tolle am Briefkasten „Auerberger Mitte“ ist,
der wird nur einmal am Tag geleert: samstags um 10:00, werktags um 16:00 Uhr und
sonntags sogar gar nicht. Was fiel mir da ein Stein vom Herzen, als ich die Leerzeiten studierte! Weil, ich habe
natürlich mit dem Gedanken gespielt, den Brief rauszufischen - und das dann
auch gemacht.
Und siehe da, kaum hielt ich ihn in Händen, so was von
tiefenentspannt. Und weil ich ja jetzt wusste, dass ich bis Montag 16:00 Uhr Selbigen
immer wieder, was soll ich sagen. Die Temperaturen, das muss ich keinem
erzählen, so was von warm war es ja diesen Sommer. Ich hab’s mir einfach richtig
gemütlich gemacht, neben dem Briefkasten. Mal etwas ganz anderes. Normalerweise
schaue ich ja stündlich in meinen Briefkasten, ob denn neue Werbeblättchen
eingetroffen sind. Und jetzt, ein vollkommen neues Briefkastenabenteuer. Allein
die Möglichkeit, jederzeit den Brief wieder rausfischen zu können, total
beruhigend.
Und davon mal ganz abgesehen hatte ich outdoor ja sowieso
volles Programm. Hatte es doch in meinem SCHAUFENSTER unter den Lettern „Was
krabbelt und flattert denn da?“ geheißen: Zähl mal, was da krabbelt und
flattert. Der NABU startet sein neues Citizen-Science-Projekt „Insektensommer“.
Es ist die erste bundesweite Insektenzählung in Deutschland. Naturfans sind
dazu aufgerufen, in ihrer Umgebung Insekten zu beobachten und unter www.insektensommer.de
zu melden. Ich bin dann auf diese Seite gegangen - so was von mit Informationen
gespickt. Da hieß es unter „Welche Insekten kann ich melden?“: Grundsätzlich
soll und kann jedes gesehene und erkannte Insekt gemeldet werden. Die
Insektenwelt ist allerdings enorm vielfältig. Es gibt daher pro Meldezeitraum
acht „Kernarten“, nach denen die Teilnehmer möglichst auf jeden Fall schauen
sollten. Diese Arten kommen (noch) häufig vor und sind vergleichsweise leicht
zu erkennen. Zunächst sind es Tagpfauenauge, Admiral, Asiatischer Marienkäfer,
Hainschwebfliege, Steinhummel, Lederwanze, Blutzikade und Gemeine Florfliege, und
dann sind es Schwalbenschwanz, Kleiner Fuchs, Ackerhummel, Blaue Holzbiene,
Siebenpunkt-Marienkäfer, Streifenwanze, Blaugrüne Mosaiklibelle und Grünes
Heupferd.
Bis ich erst mal raushatte, wie die alle aussehen. Tage
vor dem Computer hat’s gedauert. Und dann fügte sich aber eins ins andre, dass
ich da zwei Tage unter freiem Himmel neben dem Briefkasten campiert habe: immer
nah an meinem Brief, nach Tagen
Computerrecherche endlich an der frischen Luft und die Insektenregistrierung.
Was sich auch noch nett gefügt hat, auf der Seite vom NABU hieß es: Nehmen Sie
ruhig eine Lupe zur Hand und gehen Sie auf Erkundungstour, so sind die kleinen
Krabbeltiere einfacher zu entdecken. Ein kleiner Tipp: Auch Becherlupen sind
gut geeignet. Wichtig ist nur, dass Sie nach der Bestimmung die Insekten wieder
unversehrt in die Freiheit entlassen – bitte an dem Ort, wo Sie das Tier auch
gefunden haben. Und, was soll ich sagen, aus Kindertagen meiner Brut befand
sich im Haus noch eine Becherlupe und die kam so was von zum Einsatz, die
Becherlupe! Die Zeit verging bei all dem Fliegen so was von im Fluge.
Fast hätte ich mein zweites Projekt aus den Augen oder
besser aus den Ohren verloren. Lauteten doch die Lettern in meinem SCHAUFENSTER
„Akio Suzuki lehrt Bonn, wieder hinzuhören. Klangkunstinstallation, ein Rundgang
mit Akio Suzuki.“ Und da war ich natürlich sofort hellhörig geworden. Weil, die
Raum-Ton-Installation in der Welckerpassage war ja für mich jetzt ein
persönliches Fiasko. Sollte sich da mir eine neue Chance bieten, doch noch einen
Zugang zu Klangkunstinstallationen zu bekommen?
Er mache auf Klänge aufmerksam, hieß es weiter. Stelle
sich auf den Bürgersteig an der Alexanderstraße und lege die Hände an die
Ohren. „Lauscht“, wolle er sagen, „hört auf die Geräusche der Stadt.“ Und
weiter hieß es: Während der Straßenverkehr die Ohren umtost, steht Akio Suzuki
da und hört einfach nur zu. Die Zuschauergruppe, die ihn auf dem Weg durch
seine Installation „oto-date bonn“ folgt, muss erst lernen, zuzuhören. Akio ist
der aktuelle Stadtklangkünstler Bonns. „oto-date“ heißt Klangpunkt und
kennzeichnet insgesamt 16 Punkte auf einer Nord- und einer Südroute durch die
Stadt. An einigen Stellen hat er die Punkte gekennzeichnet, an denen es sich zu
lauschen lohnt. „Lernt wieder zu hören“, wolle er sagen, der Klangkünstler.
Weil ich das mit der Klangkunstinstallation von der Frau Maria
Urstad ja einfach, man muss es wohl so sagen, einfach zu lasch angegangen bin,
hab ich mich in den zwei Tagen und zwei Nächten, in denen ich neben dem
Briefkasten „Auerberger Mitte“ auf meiner Thermomatte gelebt habe, jetzt aber
so was von angestrengt, so was von hoch motiviert war ich! Erst einmal, und da
konnte ich wieder mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erst einmal machen
ja die Insekten einen Heidenlärm. Und dann die Linie 61 - ist das schön, wenn
sie regelmäßig, wenn sie pünktlich kommt.